Das letzte Gefecht: Rezension

Version vom 22. August 2008, 22:19 Uhr von Croaton (Diskussion | Beiträge) (Defaultsort)


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Tiberius (5/5)

Wie beschreibt man das längste Werk ohne gleich selbst episch zu werden? Versuchen wir es doch. Kings Das letzte Gefecht wurde gleich zweimal veröffentlicht. 1978, als King noch ein Autor unter Vielen war. Er musste abwiegen, was er veröffentlichen konnte, und was eben nicht. So hatte er zwar eine geniale Idee über ein Weltuntergangsepos, aber wer wollte schon einen Roman von einem relativ unbedeutenden Autor lesen, welches schon als Manuskript 1.200 Seiten hatte? So musst er den Roman zurechtkürzen und war erst 12 Jahre später in der Lage, den Ursprungsroman herausbringen zu dürfen. 12 Jahre in dem der Roman nichts von seiner bedrängenden Aktualität verloren hatte. Im Gegenteil. Zu Zeiten des Golfkrieges trifft ein Untergangsroman, dessen Grundlage ein "entflohener" Kampfvirus ist, genau in das Herz des Lesers.

Der Inhalt ist eigentlich schnell erzählt, so passt er auch auf jede Buchrückseite. Der Einfachheit halber, bleibe ich beider Gesamtversion: Mitte 1990 geschieht in einer geheimen Armeebasis ein Unfall. Ein hochgefährliger Virus gerät außer Kontrolle. Captain Trips vernichtet innerhalb weniger Tage 99 Prozent der Bevölkerung, einen Dank an Globalisierung, schneller Transportwege und gehöriger Fehler der Armee. Eindämmung, Quarantäne und zuletzt das Aufrechterhalten der staatlichen Ordnung gelingen überhaupt nicht und so herrscht Chaos, Anarchie und zuletzt Ruhe. Doch mitten in dieser Ruhe wird es scheinbar Zeit für ein Spiel zwischen Gut und Böse. Die Spieler werden aufgeteilt. Die Guten versammeln sich um eine mehr als hundert Jahre alte Frau, welche die Worte Gottes versteht. Die Bösen um Randall Flagg, der nicht nur in diesem Werk für das Böse steht. Es läuft auf das hinaus, was der Titel verspricht. Ein vermeintlich letztes Gefecht, um zu klären, ob das Gute oder das Böse siegt.

Was King darstellt, kann nicht innerhalb von 400 oder 500 Seiten passieren. Er verwebt Schicksale, Geschichten und Vorgänge ineinander. Er lässt die Menschen - wie schon so häufig - menschlich erscheinen. Mit ihren Schwächen, mit ihren Fehlern. Aber auch mit ihrer Stärke und mit ihren Hoffnungen. Es sind keine Helden, die dieses Gefecht entscheiden, sondern zweifelnde, von Angst besessene Menschen - auf beiden Seiten. Es sind die Figuren, die sich angeblich schon entschieden haben, auf welcher Seite sie stehen, aber (anfangs) leider oder (letztendlich) zum Glück die Seiten wechseln.

King beschreibt den Untergang und den Wiederaufbau der Zivilisation mit gehörigen Dampf gegen Armee und Soldaten und einer großen Portion Glauben an Gott. Atheisten mag dieser Geist ein wenig zu viel werden. Wenn der Geist eines gestorbenen Protagonisten, Jesusgleich wieder aufersteht, wird es zugegebenerweise unrealtistisch, doch stört das wirklich? Absolut nicht! Es sind Phantasien, die ich mir in diesem Fall sehr gerne durchlese - trotz der epischen Länge - auch mehrfach.

Patricia1991 (5/5)

Das beste Buch, was es von Stephen King überhaupt gibt... Ich liebe die meisten Bücher von Stephen King, aber The Stand ist mit Abstand das beste von allen. Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, konnte ich einfach nicht mehr aufhören es zu lesen. Inzwischen habe ich es schon sechs Mal gelesen!!! Es ist zwar ein wenig lang, aber niemals langweilig...

Wörterschmied (5 / 5)

Teil I – Liebe auf den ersten Blick (Geburt)
Als ich das erste Mal mit Das letzte Gefecht in Berührung kam, sah ich das Buch in einer staubigen Kiste mit dutzenden anderen Büchern auf dem Flohmarkt. Der Rücken des Romans war dreimal so dick wie der seiner Nachbarn und erregte daher mein Interesse: Ich habe eine Schwäche für Bücher mit vierstelligen Seitenzahlen! Und dies war das dickste Buch, was ich je gesehen hatte. Auf dem Cover (den Klapptext las ich mir gar nicht durch, da ich dieses Buch in jedem Falle genommen hätte, gleich welchen Inhaltes) stand „3,00€“. Ich feilschte bis ich das Buch für 2,00€ und dazu eine Tüte zum Einpacken bekam. Hätte ich gewusst, was mich erwartet – bei Gott!, ich hätte dem Händler einen Zwanziger gegeben!
Soweit ich es in Erinnerung habe, war Das letzte Gefecht mein viertes King-Buch. Nach dem erfolgreichen Einstieg mit Das Schwarze Haus (genial!) folgten Feuerkind (nett) und Brennen muß Salem (schnarch!!!). Wäre ich weiterhin mit King gefahren, wäre mein viertes Buch nach einer stetigen Abwärtsbewegung ebenfalls ein eher durchschnittlicher bis schwacher Roman gewesen? Ich glaube nicht.
Teil II – Vertraut werden
Das letzte Gefecht ist – wie es der Titel bereits vermuten lässt – ein Endzeitroman, der sich um das Ende der Welt dreht. King zeigt keine Gewissensbisse 99,4% der Menschheit zu töten.
Der Roman ist in drei Teile untergliedert:
  1. Captain Trips: Der Ausbruch der Seuche und das Ende der Zivilisation
  2. An der Grenze: Der Wiederaufbau der Gesellschaft
  3. Das letzte Gefecht: Der Endkampf zwischen Gut und Böse
Wie bei Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien bilden die drei Teile einen teilweise in sich geschlossenen Rahmen ohne sich dabei in Einzelteile zu dissimilieren. Nur alle Teile zusammen bilden eine abgeschlossene und verstehbare Geschichte. In seinem Aufbau erscheint der Roman daher wie eine DNA-Doppelhelix: zwei Rahmenhandlungen (das Wirken von Gut und Böse) verlaufen parallel, umschlängeln einander in kaum nachvollziehbaren Windungen und laufen doch nie Gefahr in eine einzige Front zusammenzufallen – die Bindungen der beiden Sränge bilden Querverbindungen zwischen den Charakteren mit den Basenpaaren Gut und Gut, Böse und Böse sowie Gut und Böse.
Teil III – Bekanntschaften machen
Insgesamt sind über vierhundert Charaktere beschrieben von denen viele in Schachteln leben und so nur in einem kleinen Handlungsstrang vorkommen, der eine Teilmenge des Ganzen bildet, in diesem aber in einem scharf umrissenen Einzelbereich dargestellt wird. In diesem Sinne treffen wir immer wieder auf Passagen, die Einzelschicksale erzählen, welche in ihrer Gesamtheit als repräsentativ für die vielen Milliarden Menschen gelten, welche nicht beschrieben werden.
So erleben wir die Geschichte des kleinen Sam Tauber, der seine gesamte Familie verliert, selbst aber überlebt, um Tage später in einen ausgetrockneten Brunnen zu stürzen und zu verdursten. Oder die kurze Geschichte von Jim Lee, der beim Versuch, den Strom wieder herzustellen, einen Schlag bekommt und stirbt. Unvergessen auch Arthur Stimson, der sich selbst einen entzündeten Fuß amputieren will und dabei ohnmächtig wird und verblutet.
Teil IV – Freunde finden
Wie viele Leute begegnen wir in unserem Leben? Tausende? Millionen? Wie viele von ihnen hinterlassen einen Eindruck – wie viele streifen für zwei Sekunden den äußersten Rand unserer Wahrnehmung, um im selben Moment wieder vergessen zu werden? Manche hinterlassen kurze Pointen in unserem Gedächtnis, deren Vergessen kein großer Verlust ist. Nur wenige Menschen bleiben im Gedächtnis und bekommen dort einen festen Platz. Meisterhaft erzählt King vom Leben all dieser Menschen durch einen Cocktail an kurzen Sequenzen, langwierigen Enwicklungen, kurzen Bekanntschaften und dauerhaften Bindungen.
Wie schafft King es, uns unsere neuen Freunde und Bekanntschaften vorzustellen? Ich könnte dies an rund vierzig Charakteren vorführen, möchte mich hierbei jedoch auf ein sehr prägnantes Beispiel beschränken: Major Starkey
Starkey erscheint auf der Bildfläche, nachdem der Virus Captain Trips ausgebrochen ist. Seine Aufgabe besteht anfangs darin, die Verbreitung des Virus zu verhindern, später darin, alle potenziellen Zeugen zu liquidieren, um die Verbreitung zu mindestens in den Medien zu verhindern. Der Übergang vom „Helfer der Opfer“ hin zum „Helfer der Regierung“ ist so fließend, dass man seine Entwicklung an keiner Grenze ausmachen kann – wahrscheinlich erlebt selbst Starkey diese Grenze nicht und glaubt in beiden Fällen das Gleiche zu tun: das Richtige.
Der Major taucht nur episodenhaft auf, als eine Art Zwischenspiel, während die Handlung von einem Charakter zu einem anderen überspringt, wodurch ihm eine Art Omnipotenz zugestanden wird, als würde er alles im Hintergrund kontrollieren (wie Der Major in Todesmarsch). Doch schnell wird klar, dass auch Starkey, der zwar die Verantwortung zur Bekämpfung der Grippe trägt, kein Akteur sondern selbst ein Opfer ist. Hat er durch seine hohe Stellung, Hilfsmittel um sich vor der Grippe zu schützen, so ist er doch ein Spielball seiner eigenen Blindheit. Gehorsam befolgt er alle Anweisungen der Regierung und veranlasst in diesem Sinne auch die Freisetzung des Virus weltweit (Code Rom fällt) ohne darüber nachzudenken, dass dies alle seine bisherigen Anstrengungen zur Farce macht.
Starkey ist nicht der Bösewicht, den man an dieser Stelle erwartet (sind es nicht immer Generäle oder Politiker in solchen Romanen?), sondern bleibt in jeder Handlung menschlich und nachvollziehbar. Für ihn ist es kein Widerspruch, Menschen zu töten, um Menschen zu retten – und auch dies glaubt man ihm! King geht sogar noch den letzten Schritt, den „Bösewicht“ einen humanen Heldentod sterben zu lassen und ihn so endgültig aus der Riege der Bösen zu streichen: der Major infiziert sich mit der Grippe, um einem bereits toten einfachen Soldaten aus der Suppe zu ziehen, in der er gestorben ist und begeht danach Selbstmord.  »Gefreiter Bruce«, sagte Starkey leise, »rühren.« - für mich klar die rührendste Szene nicht nur in der Welt von King, sondern in allen Werken, die ich je gelesen habe! Ich bestreite nicht, dass ich auch beim siebten Lesen dieser Szene noch feuchte Augen bekomme.
Auf ähnliche Weise überzeugt King mit unkonventionellen und unerwartbaren Wendungen, um wirklich jeden der über vierhundert Charaktere nicht zu einer literarischen Figur zu verdammen, sondern zu einem Menschen, von dem man oft nicht mehr weiß, woher man ihn kennt – aus dem Supermarkt, der U-Bahn oder doch aus einem Buch?
Teil V – Beziehungen eingehen, Beziehungen zerbrechen sehen
Wie lassen sich das Leben und der Tod von vier Milliarden Menschen erfassen?; 4.000.000.000; eine Zahl mit neun Nullen; vier mal zehn hoch neun. Ein Historiker sagte über den Holocaust, man haben nicht sechs Millionen Menschen getötet, sondern einen Menschen und das sechs Millionen Mal. Und nur so, auf die induktive Weise, können wir das Ganze begreifen.
Auch King setzt an diesem Punkt an und lehrt uns den Verlust von so vielen Menschen, den wir nie begreifen könnten, an Einzelbeispielen, indem er detailreiche und facettenreiche Beziehungen zwischen Personen aufbaut, nur um diese zu zerstören wie ein Mandala, das erst durch seine Vernichtung komplett wird. Hier unterscheiden wir zwischen engen Beziehungen (Frannie und ihr Vater), Beziehungen, denen die Chance der Besserung vergönnt wird (Larry Underwood und seine Mutter), flüchtige Freundschaften (Nick Andros und Jane Baker), einseitige Beziehungen (Harold Lauders Liebe zu Frannie) und so weiter.
Immer wenn eine Verbindung in die Brüche geht, nimmt die Entropie zu, bewegt sich die Welt weiter und gerät mehr aus den Fugen. So sind es vor allem die gescheiterten Verbindungsversuche, die den Roman menschlich machen und Motor der Dynamik sind. Wie wäre die Geschichte ausgegangen, hätte Frannie sich für Harold entschieden? Was hätte verhindert werden können, wenn Nadine Cross sich von Larry hätte verführen lassen? Finaler- und ironischer Weise führt die wohl bedingungsloseste Verbindung, die Anbetung von Mülleimermann für Randall Flagg, zu einem tragischen Ende: Mülli, der bei Flagg in Ungnade fiel, bringt ihm eine Atombombe zur Versöhnung, welche Flagg ungewollt zur Explosion bringt – das ohne Zweifel gut gemeinte Geschenk wird zu seinem Sargnagel.
Lässt sich dieses Kapitel mit einem Wort beschreiben, ist es folgendes: Unvorhersehbarkeit.
Teil VI – ein Ende finden (Sterben)
Wie viele Stunden und Seiten könnte ich noch mit der Rezension über mein Lieblingsbuch verbringen? Welch epische Fußnote entstünde zu einem epischen Werk?
Aber auch dies lehrt uns die Geschichte! Ein Ende zu finden, ist nicht immer einfach. King gesteht, dass er viele Charaktere nur in den Tod schickte, da er nicht wusste, wie es sonst mit ihnen weiter gehen sollte. Mit diesem Akt des Coitus Interruptus rettet er allerdings den Roman, der ihm beim Schreiben immer weiter aus der Feder glitt und im Sand verlief. Und manchmal muss eine Geschichte mit Gewalt zu Ende gebracht und Verluste in Kauf genommen werden. Von den rund vierzig Hauptfiguren überleben lediglich drei (Tom Cullen, Stu Redman und Frannie Goldsmith) und der Bösewicht Flagg, der erst in einer anderen Geschichte sein Ende finden soll.
Das letzte Gefecht ist eine Geschichte über das Werden und Vergehen von Menschen, kurz: über das Leben. Alle Aspekte des selbigen werden im Buch thematisiert (und in dieser Rezension durch die sechs Teile repräsentiert) und bilden einen Epos, der keine roten Wangen bekommen muss, wenn man ihn neben Tolkiens Der Herr der Ringe, Frank Schätzings Der Schwarm oder Ken Follets Die Säulen der Erde ins Regal stellt.
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