Ur: Rezension
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Croaton (5 / 5)
Was für eine Novelle! Stephen Kings neuster Geniestreich, die anfangs nur als Kindle-Download zu habende Geschichte Ur trifft voll meinen Nerv als King-Fan aber auch als Liebhaber des Dunkler-Turm-Zyklus. Verschiedene Dimensionen, der Dunkle Turm selbst und ein Wiedersehen mit den Niederen Männern – King-Herz, was willst du mehr?!
Und dann natürlich die Geschichte selbst! Wesley Smith erwirbt so ein elektronisches Lesegerät von amazon (es wäre die pure Schleichwerbung, würde King diese Entwicklung des Lesens nicht hier und da kritisieren oder zumindest bedenklich darstellen), doch wegen eines kleinen Eingabefehlers wird ihm das Kindle eines anderen Wesley Smiths zugeschickt – einer anderen Ausgabe von sich selbst, der in einer anderen Dimension lebt. Und dieses Kindle ist im Gegensatz zur kommerziellen, in unserer Welt zu habenden Version mit der UR-Funktion ausgestattet: Es kann Parallelwelten nach Einträgen absuchen und findet so etwa für Ernest Hemingway vier weitere Werke, die Hemingway in einer anderen Welt vor seinem Tod noch schrieb. Doch das ist erst der Auftakt von Kings irrsinnigem Trip durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung, denn bald entdeckt Wesley noch eine Ur-Funktion, die sein Leben komplett auf den Kopf stellt ...
Mehr soll nicht verraten werden, aber es macht bis zur letzten Zeile Spaß, sich in diese Ur-Welten zu vertiefen.
Fazit: King in bester Schreiblaune, nicht ohne eine Spur Sarkasmus und mit einer satten Portion dunkler Turm für Genießer!
Woingenau300 (5 / 5)
Lange lag diese Geschichte auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Wobei man das bei dieser Geschichte nur metaphorisch sagen kann. Also... das eBook weilte lange im Datenhaufen meines Netbooks. Dann- wahrscheinlich weil mich meine momentane Lektüre langweilte- hab ich einfach mal angefangen zu lesen- und hab das eBook in einem Rutsch durchgelesen. Selten lese ich Bücher (Kurzgeschichten) wirklich ohne abzubrechen durch.
Jetzt hab ich sie durch und ich bin positiv überrascht. Dies ist- neben Faire Verlängerung meine Lieblingskurzgeschichte/-novelle. Der Meister beweist, dass er es noch kann. Nicht nur, dass der Schreibstil genauso ist, wie man ihn von King erwartet, nein, auch hat diese Geschichte eine (fast) perfekte Story. In der ersten Hälfte passiert zwar jetzt nicht soviel, aber diese Idee ist sehr interessant und die zweite Hälfte ist auch ziemlich interessant. Der gewisse Humor von King gibt der Geschichte noch den Rest und macht sie zu einer der besten, die ich von Stephen King je gelesen habe.
Wörterschmied (4 / 5)
Um auch an dieser Stelle noch einmal Werbung zu machen: amazonkindle. Oder besser: deadzonekindle. Denn letztendlich ist die Geschichte auch nur eine Neufassung von Deadzone, nur dass hierbei ein Kindle den Blick in die verheerende Zukunft gibt.
Originell ist wiederum der Schluss - weshalb King praktisch dasselbe Ende bei Der Anschlag wieder verwendet (an dieser Stelle aber haben die "Polizisten" lustige Mäntel an anstatt einer farbigen Karte in der Hand). Das peinliche Schweigen, das zwischen Wesley und den Wesen entsteht, gibt der Geschichte eine herrlich-selbstironische Endnote, fast schon so bitter-süß wie das Ende von Faire Verlängerung.
Abzug gibt es dennoch für den etwas gezwungenen Einstieg und der hier und dort auftretenden Schleichwerbung.
Andreas (2 / 5)
King muss in dieser Geschichte zwei große Hürden meistern. Da ist zum Einen seine ganz eigene Hürde mit dem Namen Der Dunkle Turm. In der Fassung der Geschichte für die Kurzgeschichtensammlung Basar der bösen Träume deutet er den Turm nicht nur an, er wirft ihn förmlich mit dem ersten Starten des Geräts in unser Gesicht. Die zweite Hürde ist die der Parallelwelten und alternativen Zeiten.
Beide Hürden sind komplex, trickreich und verdammt spannend, wenn sie genommen werden. Leider verhedderten sich schon vor King einige Autoren daran. Und leider wirkt auch Kings eigenes Werk nicht sehr souverän was diese beiden Themen angeht, was das Vergnügen deutlich schmälert.
Versuchen wir doch gemeinsam das bei meinem größten Ärgernis nachzuverfolgen. Wesley Smith, ein in eine ambitionierte Sportlehrerin verliebter mittelmäßiger Englischdozent, versucht den Tod seiner großen Liebe zu verhindern, von dem er aus einer parallelen Welt erfahren hat. Parallel deswegen, weil der pinke Kindle einem Wesley Smith gehören sollte, der drei Welten nebenan zu Hause ist.
Er schafft, was nichtmal hätte eintreten müssen - er verhindert, dass die betrunkene Frau zeitgleich auf dem Highway unterwegs ist wie die College-Basketballerinnen. Danach bekommt er Besuch von den Niederen Männern, die ihn darüber informieren, dass sein vermeintlicher Eingriff in die Geschichte die Balken in Aufruhr versetzt hat. Wesley kann sie schließlich davon überzeugen, dass sie selbst ja nicht so weit in die Zukunft schauen können, um zu beurteilen, ob seine Tat gut oder schlecht war.
Eeehm ... Nein, tut mir leid. Das klappt so nicht. Dass Ellen stirbt, stimmt nur für die Parallelwelt. In der gleichen Welt, in der Hillary Clinton vielleicht schon 2009 zur Präsidentin wird, als Nachfolgerin von Al - ich habe das Internet erfunden - Gore. Es stimmt für die Parallelwelt in der die kindle scheinbar pink sind und in Parallelwelten schauen können. Erinnern wir uns, wie Wesley den Kindle bekam: Dort ist es Technologie, die es für weniger als 100 Dollar im Online Shop zu kaufen gibt.
Dann die kleine aber feine Katastrophe mit den Niederen Männern, Taheen höchstwahrscheinlich, zumindest aber Diener des Scharlachroten Königs. Sie wollen Wesley bestrafen, weil er den Turm zum wanken und die Rote Rose eine Verschnupfung gebracht hat? Wie bitte? Sie sollten ihm eine Medaille verpassen und weitermachen lassen. Er ist wohl der einzige, der ohne große Schwierigkeiten Schicksale und damit Balken umbiegen kann. King hat in der Vergangenheit einige Beispiele parat, in denen die Charaktere nur durch Aufgabe ihres Lebens (Das Attentat), ihres Verstandes (Schlaflos) oder ihrer Zukunft (mehrmals in Der Anschlag) Dinge ändern konnten, die angeblich fest vorgegeben waren.
Die beiden in gelbe Mäntel gekleideten Männer wirken teilweise wie die Kahlköpfigen Ärzte aus Schlaflos, die voller Weisheit und gleichzeitig voller Ungeduld große zusammenhängende Dinge erklären wollen und damit genauso groß-artig scheitern.
Das - in Kurzform - zum Ende der Geschichte. Schon zuvor wirkt sie nur wenig glaubhaft. Robbie entpuppt sich als Traum eines mittelmäßigen Englischlehrers? Die attraktive Ellen Silverman will dann doch wieder zu ihm zurück? Man kann in Kentucky ohne Probleme einer Frau mehrere Ohrfeigen verpassen und dann damit davon kommen? Leider ist sie nicht mal sonderlich spannend. Die Suche nach Candy Rymes und das Auflösen des Problems geschehen zu schnell für Alles, was davor und darum passiert ist. Ur, die Geschichte mit dem kürzesten Titel der Sammlung, ist die längste der Sammlung. Leider ist ein Großteil damit verwendet bis Wesley sich wirklich sicher ist, was er da tolles in den Händen hält.
Sehr schade. Die Frage, wie die Niederen Männer arbeiten nachdem der Scharlachrote König mehr als 10 Jahre vernichtet ist, wäre sicherlich sehr interessant gewesen, wenn King ein wenig beim Job der Niederen Männer unterstützt hätte. Und wenn er nicht die Vorgabe bekommen hätte, eine kurze Geschichte abzuliefern.
Vermis (3 / 5)
Zunächst das Positive: Die Idee, Werke von Schriftstellern lesen zu können, die diese in unserer Welt nie geschrieben haben, ist fasziniert. Doch leider war das auch schon das Highlight. Wie bereits von meinem Vorredner gesagt, geht die Suche nach Candy Rimer etwas zu flott, wenn sich der Anfang so viel Zeit lässt.
Aber das Größte Problem, wegen dem noch ein Punkt weggeht, ist das Ende und die Niederen Männer. Deren Verhalten ist einfach nicht mit ihrem auftauchen im Dunkler-Turm-Zyklus zu vereinbaren. Warum werden sie hier wie Wächter der Balken dargestellt? Oder wollen Sie nur dafür sorgen das normale Menschen keinen Schaden anrichten, um selbst für besagten Schaden zu sorgen?
Zudem ist Interessant, das sie versuchen ein Gerät zurück zu bekommen, mit dem man Bücher aus anderen Welten lesen kann. Da man im Turm-Zyklus ja erfährt das sich einige Niedere Männer der Existenz des Schriftstellers Stephen King bewusst sind, frage ich mich, ob sie schon mal versucht haben das Ende des Dunklen Turms zu lesen und den Ausgang der Story zu verhindern. Schließlich spielt Ur im Jahr 2009, der Zyklus selbst schon beendet.
Ur wirkt aber auch wie ein Probelauf für Der Anschlag. Beide Geschichten gleichen sich in einigen Grundzügen enorm und haben ebenfalls am Ende ein paar Männer in Mänteln, die Erklärungen abgeben, die eher Schlecht als recht sind. Doch auch Der Anschlg leidet meiner Meinung nach an den Niederen...Verzeihung, den Kartenmännern.
Fazit: Eine eigentlich gute Geschichte, die jedoch von einem undurchdachten Ende stark geschwächt wird.
Horaz Klotz (3 / 5)
Ur erinnert mich an eine Kurzgeschichten-Version des magischen Kindle - es stecken ein paar richtig interessante Storys drin, aber kaum versucht man sich einzulesen gerät alles durcheinander und sobald man sich ans neue Erzähltempo gewöhnt hat ist es schon wieder vorbei. Anscheinend traute King seiner eigenen Idee nicht. Anstatt das eine magische Element des Geräts - Bücher aus alternativen Realitäten zu lesen - weiter zu erforschen, kann die Maschine plötzlich auch sehr viel konkretere Blicke in die fremden Welten werfen und lädt zu allem Überfluss auch noch zu einem gnadenlosen Wettlauf gegen die Zeit ein. Das ist etwas viel für eine Kurzgeschichte und die einzelnen Elemente gehen schnell im Strudel der Ereignisse unter oder geraten bei allzu scharfen Wendungen aus dem Blick. Vielleicht hätte es sich gelohnt, wenn unser Autor die fantastischen Fähigkeiten des Kindle auf zwei oder drei Geschichten aufgeteilt hätte. Immerhin wissen wir, dass er nichts dagegen hat, auf den ersten Blick sehr ähnliche Konzepte aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten (Alles endgültig und Nachrufe).
Man kann darüber streiten, ob King das fantastische Potential, per Kindle einen Blick in neue Welten zu werfen, voll ausnutzt, bevor er zum Zeitplot übergeht. Beim ersten Lesen fand ich die alternativen Universen erschreckend einfallslos - in einem wurde Hillary Clinton Präsidentin, in einem anderen ist Kings altes Steckenpferd die Kennedy-Ermordung anders verlaufen. Bei schier endlosen Möglichkeiten wären vielleicht doch ein paar Einblicke in fantastischere Welten drin gewesen, die nicht erst in den letzten 100 Jahren von unserer abweichen. Andererseits erdet diese erzählerische Zurückhaltung die Geschichte. Und das ist dringend nötig sobald wir in den Zukunftsplot stolpern. Wenn es um die Zeit geht, wird es bei King ja oft ein bisschen bizarr. Abgesehen von seinen teilweise haarsträubenden Theorie (Langoliers), finde ich auch das Motiv, dass sich düster-geheimnisvolle Mächte dagegen sträuben, dass die Zukunft geändert wird ein bisschen einfallslos. Zumal damit grundsätzlich der freie Wille im King-Universum abgeschafft wird - immerhin wäre jede freie Entscheidung in der Gegenwart für zeitreisende Beobachter ein Eingriff in die Zukunft.
Das Ende ist dann im Grunde wieder wie der Anfang der Geschichte. Etwas abrupt aber irgendwie charmant in seiner Einfachheit. Wesley bekommt seine Einblicke in fremde Realitäten einfach weil ihm durch Zahlendreher das Gerät aus der falschen Dimension geschickt wurde, am Ende wird es von geheimnisvollen Fremden wieder abgeholt. Ende. Leider machen beide Konzepte aber auch keinen großen Sinn, wenn man länger darüber nachdenkt. Wenn es für unsere Helden so gefährlich und illegal ist in der Zukunft herumzuwerkeln, warum wird die Zeitfunktion dann eine Welt weiter standardmäßig in Kindles eingebaut? Und ich gebe gerne zu, dass ich im Dunklen Turm-Zyklus wohl nicht bewandert genug bin, um jede Anspielung mitzukriegen. Aber es macht für mich einfach keinen Sinn, dass die Fremden sich so über Wesleys Eingreifen aufregen. Immerhin finden damit die fantatischeren Elemente Einzug in die Geschichte, auf die ich schon früher gewartet hatte. Und es ist eine ganz nette Überraschung, dass King - der sich so oft in der Rolle als Technik-Muffel gefällt - hier tatsächlich ein waschechtes Happy End via Zaubermaschine zulässt. Das passt für mich sehr gut zum allgemein fröhlicheren Abenteuer-Ton der Geschichte.
Das die Kurzgeschichte bei allen Problemen doch noch auf 3 Punkte kommt, liegt auch an den Charakteren, die unser Autor durch seinen Zeitplot scheucht. Wesley ist gerade weit genug vom braven Kleinstadt-Professor entfernt um immer wieder überraschende Entscheidungen zu treffen, aber noch nicht so unsympathisch dass man ihm die spektakuläre Rettungsaktion nicht abnimmt. Besonders gefällt mir, wie schnell die Figuren ihren Unglauben hinter sich lassen, es tatsächlich mit einem magischen Kindle zutun zu haben. Statt ellenlangen Erklärungs- oder Abstreitversuche sind sie schon nach wenigen Sätzen mittendrin zu überlegen, was sie mit dem seltsamen Gerät so anstellen könnten - so lobe ich mir meine Fantasy-Protagonisten.
Fazit: Überbordende Kurzgeschichte über ein magisches Kindle mit deutlich zu vielen Funktionen. Zum Glück ist in dem ganzen Chaos immer noch genug von der charmanten Grundidee zu erkennen.
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