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Revival: Rezension

6.525 Byte hinzugefügt, 10:49, 4. Okt. 2018
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Fazit: ''Revival'' ist Kings Alters-Meisterwerk, in dem er seine eigenen Ängste über das unvermeidliche niederschreibt. Ein beängstigender Blick auf das, was auf uns wartet. Ich hoffe jedoch, genau wie Jamie, das auch die Schreckliche Welt ebenfalls eine Illusion war. Denn niemand sollte solche Grauen sehen müssen - und niemand sollte je die Mutter erblicken müssen.
==[[Benutzer:Horaz Klotz|Horaz Klotz]] (3 / 5)==
Mit ''Revival'' zeigt King mal wieder eindrucksvoll was ihn von anderen Horror-Autoren abhebt: Nicht die Monster, die kriegen andere gruseliger hin. Nicht die Handlung, die ist oft genug halbwegs vorhersehbar oder verläuft sich in etwas unmotivierten Enden. Es sind die Charaktere, mit denen er seine fantastische Welt bevölkert und die schnell ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. Charles Jacobs ist ein solcher Charakter. Nach den ersten Seiten glaubt der Leser zu wissen wohin sich der gute Reverend entwickeln wird, doch der Charakter schlägt immer wieder Haken, taucht an unvorhergesehen Orten und in überraschenden Rollen auf. Und bleibt trotzdem bis zum Schluss überzeugend konsequent. Als autodidaktischer Tüftler, der ganz nebenbei über große physikalische Geheimnisse des Universums stolpert, erinnert er an eine menschenfreundlichere Version von naturwissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern à la Dr. Axel Stoll, die nüchterne Formeln mit düsterer Esoterik verbinden. Der Unterschied ist, dass Jacobs in Kings durchgedrehtem Universum natürlich richtig liegt und in seinem Bastelkeller tatsächlich mal so eben alle Gesetze der Physik über den Haufen wirft. Nach dem dramatischen Unfall ist sich der Leser eigentlich sicher, wie die Story weiter gehen muss und wer hier ''revived'' werden soll, aber die Geschichte schlägt eine andere Richtung ein. Jacobs letzte Predigt ist dann ein großartiger Höhepunkt dieses ersten Kapitels und könnte für sich schon das Ende einer netten kleinen Kurzgeschichte sein - aber King hat weitere Pläne für den Reverend.
 
Seine nächsten Inkarnationen als Jahrmarkt-Blitzkünstler und millionenschwerer Fernseh-Guru sind logische Fortsetzungen dieser genialen Ausgangslage. Jacobs hat alle Brücken zum bürgerlichen Leben abgebrochen und stürzt sich ganz in seine Arbeit. Dabei bleibt King immer gerade realistisch genug um mich - als elektrotechnischen Laien - bei der Stange zu halten. Besonders der ironische Kniff, dass der Wunderprediger Jacobs seine Bühne nutzt, um religiösen Fundamentalisten unter der Hand mit kalter, harter Wissenschaft zu heilen, gelingt perfekt. Eine witzige Umkehrung des ur-amerikanischen Schlangenöl-Händlers, der seinen esoterischen Humbug unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Fachbegriffen unters Volk bringt. Erst wenn King den Reverend gegen Ende ganz in die Rolle des gewissenlosen Superschurken drängt bricht der Charakter ein Stück weit. Waren es vorher nur vergleichsweise kleine Probleme mit Jacobs Motiven und Methoden - zum Beispiel die Frage, warum er sich darauf versteift die Menschen einzeln zu behandeln, statt seine fabelhafte freie Energiequelle zu Geld und der Menschheit zugänglich zu machen - ist diese Version jetzt so weit von dem kinderfreundlichen Sandburgenbauer vom Anfang entfernt, dass sie für mich nicht mehr wirklich funktioniert. Der geniale, vielschichtige Charakter wird hier auf den letzten Metern in eine Ecke geschoben, in die er nicht gehört.
 
Während Jacobs eine Wandlung nach der anderen durchlebt, mäandert unsere Hauptfigur ein bisschen ziellos durch die Jahrzehnte. Jamies - zumindest für Musikerverhältnisse - wohl recht typisches, mäßig erfolgreiches Leben kann stellenweise ein bisschen langatmig werden, schafft es aber diese wahnsinnige Geschichte um den wandernden Prediger der Kirche der geheimen Elektrizität zu erden. Außerdem kann uns King so verhältnismäßig früh mit den anfangs noch halbwegs realistischen Spätfolgen von Jacobs Elektro-Therapie. Leider steht dieser mühsam aufgebaute Realismus ziemlich im Weg, sobald die Story ihren Schlenker in Richtung Monsterhorror nimmt und namenlose Schrecken in die Welt einbrechen. Aus nett nachvollziehbaren Nebeneffekten einer elektrischen Gehirnbehandlung wie gelegentlichen Gedächtnislücken, Zwangshandlungen und Wahrnehmungsstörungen, werden Killerameisen und das bizarre Mutter-Ungeheuer. Spätestens hier schlägt der Zeiger von netter charaktergetriebener ''Science Fiction'' zu trashiger ''Science Fantasy'' und King darf mal wieder seinen technik-feidlichen Zeigefinger erheben: "Das passiert eben, wenn sich Menschen in wissenschaftliche Bereiche einmischen, die sie nichts angehen."
 
Dass der Meister sich für sein großes Finale großzügig bei Lovecraft bedient ist dabei nicht das Problem. Im Gegenteil - als Fan von beiden Schriftstellern war ich gespannt, welche Elemente King sich hier abschauen würde. Leider hat er sich für die falschen entschieden. Lovecraft funktioniert für mich immer am besten als Meister der Andeutungen. Wenn er Expeditionen in außerirdische Städte oder Mathe-Studenten in andere Dimensionen schickt, aber gerade noch genug offen lässt, dass der Leser seine eigenen Schlüsse ziehen kann, finde ich das um einiges spannender als den Kampf gegen ein beliebiges Monster der Woche. Hier borgt sich King vor allem den Stil seines Horror-Kollegen und versetzt seine finale Schreckensvision unmotiviert in eine der Lovecraft-typischen zyklopischen Ruinenstädte. Dann begeht er auch noch den alten Fehler, sein unmissverständlich an die Großen Alten angelehntes Mega-Monster Mutter zu besiegbar. Lovecraft selbst stolperte in diese Falle, wenn er seine Vorzeigegottheit in ''Call of Cthulhu'' mit einem Schiff rammt und Schachmatt setzt. Echter kosmischer Horror kann nur funktionieren, wenn die Menschen wirklich keine Möglichkeit hat, sich den außerirdischen Mächten zu erwehren.
 
Daneben habe ich noch ein tiefergehendes Problem mit dem Ende und Kings Entscheidung, uns einen Blick ins Jenseits seiner Figuren werfen zulassen. Leben und Tod sind derart wichtige Konstanten in nahezu allen Geschichten, dass ich immer ein Problem mit leichtfertigen Antworten auf diese großen Fragen habe. Hier wird das eng verwobene Netz des King-Universums zum Problem: ''Revival'' steckt wieder mal randvoll mit Verweisen und Anspielungen auf andere Werke. Die Welt der Mutter wirkt abgekapselt genug von Jamies Realität um eine kosmische Konstante jenseits des Multiversums zu bilden. Da drängt sich die Frage auf, ob Mutter auch auf andere Tote aus dem King-Kosmos wartet. So manche tragische Sterbeszene bekommt einen bitteren Beigeschmack mit der Vorstellung, dass der Verstorbene sich jetzt Mutters Ameisen-Reigen anschließt.
 
Fazit: Ein nett ausgetüfteltes ''Science Fiction''-Konzept um einen genial wandelbaren Charakter, das zu schade ist für das überbordende Monster-Fantasy-Finale.
[[Kategorie:Rezension]]{{weiterführend {{Revival}}}}
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