Misery (Schlosspark Theater Berlin): Rezension
Misery ist ein Theaterstück des Schlosspark Theater in Berlin. Unter der Regie von Schendel spielen Franziska Troegner als Annie Wilkes und Jörg Schüttauf als Paul Sheldon. Eine Rezension.
Inhaltsverzeichnis
Die Herausforderung von Misery
Als Fan von Stephen King weiß man sehr wahrscheinlich von den Herausforderungen, der sich jede Adaption stellen muss. Es ist Fluch und Segen zugleich, dass die Geschichte des Autors und seinem größten Fan so bekannt und so bedeutend ist.
Da ist Kings eigenes Werk. Obwohl es die große Kunst des Autors ist, viele Charaktere glaubhaft miteinander zu verbinden, ist Sie ein Kammerspiel, welches nur zwei bedeutende Figuren hat. Doch damit nicht genug. Misery ist nicht irgendein Roman von King. Er verarbeitet den Terror seiner eigenen Drogensucht im Roman von 1987. Annie Wilkes steht nicht nur für seine Angst vor ungebetenen und allzu enthusiastischen Fans. Sie ist die personifizierte Sucht, welche ihn umgarnt, scheinbar als einzige wirklich gekannt, unterstützt und fast umgebracht hat. Jede Umsetzung, die den Namen des Autors trägt, sollte diese Themen nicht nur anschneiden, sondern sich damit auch auseinandersetzen.
Doch damit nicht genug. Während der Roman von King zu seinen Bedeutendsten wurde - für ihn erhielt er seinen ersten Bram Stoker Award - wurde der Film zu einem Horrorklassiker. Rob Reiner, Produzent und Regisseur des Films, schuf die beeindruckende Balance zwischen originalgetreuer Adaption und Eigenwerk. Er entschärft oder entfernt einige Szenen, damit der Film ein Mindestmaß an Ernsthaftigkeit behält. Aber er fügt neues Material hinzu, um die Beziehung der zwei Figuren zu vertiefen. Zugegeben, Reiner hat großes Glück mit seinen Darstellern. Kathy Bates wird wohl auf immer für uns Fans zu Annie Wilkes werden - obwohl sie als Dolores Claiborne auch eine sehr gute Rolle spielte - und nicht umsonst bekam sie sowohl den Golden Globe als auch den Oscar für ihre Leistung. Ihre Boshaftigkeit wirkt real. Ihre Zuneigung zu Paul Sheldon beeindruckend bedrohlich. Dieser, gespielt von James Caan, durchlebt einen enorm wirkungsvollen Wandel zwischen Abhängigkeit, Verzweiflung, Wut und Ausdauer. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Überhaupt ist es sehr interessant zu sehen, dass James Caan auch eine Opferrolle mit Bravour spielen kann. Die 80er und frühen 90er Jahre waren eigentlich eher Jahre der Alphatierrollen.
Die Adaption auf der Theaterbühne
Nun also ein Theaterstück. Ohne Nebendarsteller, ohne umfangreiche Kulisse, dafür mit Franziska Troegner und Jörg Schüttauf. Kann das funktionieren? Zuerst die Antwort, dann die Begründung. Ja, es funktioniert sogar hervorragend!
Schauen wir uns mal an, warum.
Simon Moore, welcher Kings Misery bereits Anfang der 90er Jahre für die Bühne schrieb, versucht nicht auf der Bühne Annie Wilkes' Hütte nachzustellen. Er entfernt den Großteil dessen, was wie ein Haus wirken kann und kreiert mit diesen Mitteln ein wirkliches Kammerspiel. Es gibt keine unnötigen Wände, keine Kellertreppen und auch kein Fenster durch welches Paul Annies Mord beobachten könnte. Alles konzentriert sich auf die beiden Figuren. Daria Kornysheva, im Schlosspark Theater verantwortlich für Kostüm und Bühne hält sich daran. Natürlich, das Bett, in dem Paul einen Großteil seiner Leidenszeit verbringt, ist genauso vorhanden, wie sein Rollstuhl und die Schreibmaschine, auf welcher er Miserys Rückkehr schreiben muss. Aber alles wirkt simpel, selbst sein Arbeitsplatz strahlt alles andere als Gemütlichkeit oder Freude aus. Und so soll es auch sein. Annie Wilkes wirkt so noch deutlicher wie eine Alleingängerin und Eigenbrödlerin.
Schwester Gertrud im Wahn
Doch die Bühne ist im besten Fall nur Beiwerk. Das Resultat steht und fällt mit den beiden Darstellern. Ladies first, denn Ehre wem Ehre gebührt. Zu meiner Schande gehörte Franziska Troegner für mich bisher nie zu den bedeutenden deutschen Theaterschauspielern. Wie für so viele war sie auch für mich einfach so die Krankenschwester des Landarztes zwischen 2001 und 2012. Doch die 1954 in Berlin geborene Schauspielern hat über 50 Jahre Bühnenerfahrung und genoss eine klassische Theaterausbildung. Diese Erfahrung spürt man als Zuschauer. Schon von ihrer ersten Zeile an ist Franziska Troegner Annie Wilkes. Sie verkörpert den Wandel von der Rettung über den Wahn bis hin zum so gut wie sicheren Tod für Paul Sheldon. Man lacht über ihre Naivität, wenn sie dem Autor zum ersten Mal offenbart, sie wär sein größter Fan und seine Groschenromanzen wären das Beste und Tollste, was sie je gelesen hat. Doch als sie Paul den Vorgang des Hobbelns erklärt, während sie seine Füße für ebenjenen Prozess zurechtlegt, geht für das komplette Publikum der Pulsschlag hoch.
Sie meistert auch die Launen von Annie Wilkes mit Bravour und rettet so die Symbolhaftigkeit, die in Kings Vorlage zum großen Teil von Pauls innerem Dialog getragen wird. Franziska Troegner schafft es aber jeden Gefühlswandel überzeugend zu präsentieren. Sie ist die überglückliche Annie Wilkes, die ihren Lieblingsautor gerettet hat und ein ganz eigenes Buch von ihm bekommt, die ignorante Annie Wilkes, die ihren Patienten sich selbst überlässt, nur weil sie Zeit für sich braucht, die knallharte und psychotische Annie Wilkes, die ihrem Opfer mit einem Vorschlaghammer den Fuß zertrümmert und ohne zu Zögern Aufwischwasser zu trinken gibt. Als Zuschauer lacht man über Franziska Troegners Figur, als sie überglücklich ihrem Paul Sheldon eine heruntergekommene Schreibmaschine und einen alten Rollstuhl zu Weihnachten schenkt. Aber man zweifelt mehr und mehr an ihrer geistigen Stabilität als klarer wird, dass es nicht viele Menschen gibt, die ihre Nähe überleben. Und schlussendlich ist man vollkommen überzeugt, dass nur eine Figur die Geschichte am Ende überlebt.
Franziska Troegner schafft das, woran Kathey Bates ihre Schwierigkeiten hatte. Sie verkörpert nach Stephen Kings Vorlage, die doppelte Bedeutung der Figur Annie Wilkes glaubhaft. Zum einen der sehr oberflächliche psyhopatische Fan, der unbedingt ein neues Buch von ihm haben will, der ihn antreibt und ihm erzählt, dass die Schundromane große Kunst sind. Aber zum anderen diese wirkungsvolle Gefahr der Drogen. Stephen King wusste, dass ihn das Kokain und die Schmerzmittel genauso umbringen würden, wie Annie Wilkes Paul Sheldon. Doch war er scheinbar fest in ihrer Hand. Franziska Troegner stellt diese Gefahr dar. Indem sie lustig ist, indem sie aggressiv und laut ist, indem sie depressiv und suizidgeschwängerte Aussagen trifft. Sie ist zum fürchten, und das im absolut positiven Sinne!
Der Kommissar in Nöten
Ihr gegenüber ist Jörg Schüttauf mit einer nicht minder wichtigen Aufgabensammlung betraut. Ist Annie Wilkes Symbol für Kings akuten Ängste dieser Zeit, sieht er in Paul Sheldon vor allem sich selbst. Bevor also der Autor zum strahlenden Held und Überlebenden werden kann, muss er durch die Hölle des Opfers. Auch hier erscheint es auf den ersten Blick mutig, Jörg Schüttauf für diese Aufgabe auszuwählen, denn einem breiten Publikum dürfte er als Tatort-Kommissar bekannt sein. Doch auch der Chemnitzer hat auf der Bühne gelernt. 1986 erhielt er sein Diplom an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig.
Doch auch hier verschwindet diese leichte Verwunderung sobald Paul Sheldons Reise durch die Geschichte beginnt. Sehr souverän stellt er das Dilemma des Paul Sheldon dar. Dieser ist eigentlich der Annie Wilkes überlegen. Neben dem ganz offensichtlichen Verhältnis zwischen Fan und Star ist Sheldon im Normalfall auch intelligenter, vernünftiger und reicher wie seine Leserin. Allerdings muss er sich ihr geschlagen geben. Jörg Schüttauf demonstriert die Versuche des Aufbäumens gegen die Sturheit und die vermehrten Psychosen auf bewundernswerte Art und Weise. Er redet ihr gut zu, versucht sich mit ihren Meinungen zu arrangieren und sie zum Vorteil auszunutzen. Seine vermeintliche Kulisse seines Fans gegenüber bröckelt nur so viel um dem Publikum Einblick in die vermeintlich wahren Gefühle von Paul Sheldon zu gewährleisten. Um zu sehen, wie viel Angst sich in ihm aufbaut, um mitzuerleben, wie weit sich die Abhängigkeit nach den Schmerzmitteln bereits in ihn hineingefressen hat.
Neben dem relativ schnell etabliertem Problem von Paul Sheldon baut sich für ihn und damit für Jörg Schüttauf eine große Herausforderung erst im Laufe der Handlung auf. Es ist der Wandel. Schnell wird klar, dass der Autor und damit auch der Schauspieler in seiner Rolle nur dann gewinnen kann, wenn er seinen Widerstand mit Bedacht, nicht allzu offensichtlich und doch zielstrebig zu Ende und damit zum großen Finale bringt. Durch das Format der Theaterproduktion bedingt, vergeht nicht viel Zeit zwischen dem ersten Ausflug und dem Fluchtversucht von Sheldon und doch wird man Zeuge einer recht beeindruckenden Entwicklung. Das fängt mit der äußerlichen Veränderung an. Schüttauf wirkt schwach, angeschlagen und völlig stillgelegt zu Beginn des Stücks. Doch mit zunehmender Dauer wirken seine Bewegungen im Rollstuhl flüssig und routiniert. Es scheint als würde mit jedem Tastenschlag die Kraft in seine Arme zurückkehren. Dazu kommt auch eine Veränderung in den Gesprächen. Als Paul Sheldon seine Sicherheit Gespräche zu lenken zurückgewinnt, wirkt es auch wie ein weiterer Schub in Jörg Schüttaufs Darstellung. Seine Stärken liegen vor allem in den mehr dynamischen Passagen des Stücks. Besonders herausragend dabei die zwei Situationen gegen Ende der Handlung. Das Hobbeln ist nicht nur ein gutes Beispiel für Franzsiska Troegners Können. Ebenso dank Jörg Schüttauf wirkt der Umschwung zwischen dem Humor von Paul Sheldons drogengeschwängerter Beichte und dem Horror von Annie Wilkes Bestrafung besonders effektiv. Und letztendlich das Finale selbst, bei dem es gilt, wer mehr am eigenen Leben hängt und wer bei der Endabrechnung die Oberhand behält.
Jörg Schüttauf ist ein sehr guter Schauspieler. Er hat sehr viel Erfahrung vor der Kamera und auf der Bühne und das merkt man ihm zu jeder Sekunde an. Wie sein Gegenüber hat er die Rolle verinnerlicht und trägt die Bedeutung, die King in die Figur setzt. Es tut gut zu sehen, wie positiv Paul Sheldon gespielt wird. Nicht nur das Leiden wirkt nachvollziehbar, vor allem aber der Erfolg über diesen Schmerz und diese Abhängigkeit hinweg und die Stärke in diesem Aufschwung in Jörg Schüttaufs Präsentation auf der Bühne zeigen, dass diese Adaption viel von der Symbolik des Originals beibehalten hat.
Im Zusammenspiel
Schon einzeln bereiten Franziska Troegner und Jörg Schüttauf viel Freude. Zusammen aber bekommt das Ganze nochmals eine verbesserte Qualität. Es gibt keinen Moment an dem Man an der gemeinsamen Dynamik zweifelt. An dem man so etwas wie Missverständnisse zwischen den Darstellern befürchtet. Als Annie Wilkes Paul Sheldon in einem Moment des Geständnisses die Hände unter dem Bademantel auf die Brust legt, entwickelt sich die gewollte Gänsehaut im Publikum. Als sie ihm zuvor das Rentiergeweih zu Weihnachten umzieht, ist man genauso perplex wie es Jörg Schüttauf darstellt.
Das Handeln der Beiden wirkt auf der einen Seite spannungsgeladen, aber unheimlich vertraut. Auch ohne große Kulisse oder opulentes Licht- und Tonspiel füllen sie die Geschichte und die Handlung zusammen. Sie ziehen das Publikum mit in die Handlung, denn Jeder im Saal will wissen, wie es weitergeht und wer der Beiden letztlich gewinnt. Jeder spürt, dass die Emotionen auf der Bühne nicht nur dort bleiben, sondern auch in unsere Köpfe ziehen. Wir ekeln uns zusammen mit Paul Sheldon vor dem Wischwasser, wir sind belustigt, als Annie Wilkes manche Wörter nicht mag, weil sie schlüpfrig sind und wir fürchten auch um Beide, als wir ahnen, dass es zu Toten kommen wird.
Was bleibt zu sagen?
Franziska Troegner, Jörg Schüttauf und das Schlosspark Theater Berlin zeigen, dass es nicht viel braucht, um völlig in den Bann gezogen zu werden. Eine gute Geschichte, aber das erwarten wir Fans von Stephen King ja nicht anders von unserem Autor. Eine gute Idee, diese Geschichte umzusetzen und vor allem Schauspieler, welche diese Ideen umsetzen können. Und in meinen Augen hat das mehr als hervorragend geklappt.
Noch bis in den Mai 2015 hinein wird das Stück auf der Bühne des Schlosspark Theaters aufgeführt. Wenn man es einfach formuliert benötigt, gerne auch so: Schaut es euch an!
| |||