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Mike Flanagans Verfilmung von Stephen Kings Roman Doctor Sleep spaltet einmal wieder die Gemüter - nachdem ich jedoch Flanagans geniale Umsetzung Das Spiel gesehen hatte, sah ich diesem Projekt eher positiv entgegen, erst recht, als mit Ewan McGregor einer meiner Lieblingsschauspieler engagiert wurde (Big Fish gehört seit Jahren zu meinen Allzeit-Lieblingsfilmen, der verkannte Perfect Sense ist ein kleines Meisterwerk). Was also kam bei dem nicht unbescheidenen Vorhaben heraus, Stanley Kubricks Shining mit Kings Doctor Sleep zu vermengen? Ein weiterer Geniestreich von Flanagan!
Der Film nimmt sich viel Zeit, seine Charaktere einzuführen und beginnt wie der Roman dort, wo Shining aufhörte, nämlich noch in Dannys Kindheit. Die "neue" Wendy Torrance ähnelt Shelley Duvall (jedoch ohne deren Gruselfaktor), und ich finde die Idee einer Neubesetzung besser als eine digitale Auferstehung der damaligen Schauspieler, wie sie kurzzeitig im Raum stand. Lange folgt die Verfilmung der Romanhandlung, und McGregor brilliert als völlig heruntergekommener Trunkenbold, der nur mühsam den Weg zurück ins Leben findet. Parallel dazu wird das Treiben des Wahren Knotens geschildert, angeführt von Rose the Hat, mit Rebecca Ferguson ebenfalls perfekt besetzt - ihre Mischung aus unheimlich sexy und wahnsinnig böse trifft die Kingsche Darstellung ideal. Der Einsatz von Computertechnik zur Darstellung der verschiedenen Gedankenwelten ist auf den Punkt, die schauspielerische Leistung aller Darsteller überzeugt.
In der zweiten Hälfte des zweieinhalbstündigen Werkes driftet der Film zunehmend von der Vorlage ab. Eigentlich ein Gräuel für mich, nicht aber in diesem Fall, wurde die Romanhandlung doch immer zerfranster und unübersichtlicher, was filmisch kaum darstellbar gewesen wäre. Flanagan kürzt die bald unüberschaubaren Körper- und Ortswechsel des Buchs auf ein überschaubares Minimum zusammen und hat eine viel überzeugendere Idee: Nicht Rose verschanzt sich in den Ruinen des Overlook ... Danny und Abra Stone locken sie erst dorthin, quasi, um zwei Monster aufeinander loszulassen: eine kleine, aber feine und sehr schlüssige Änderung.
Nun kommt Flanagan an den Punkt, wo die Sache heikel wird. Kubrick ließ das Hotel bekanntlich stehen, King brannte es ab. So muss King im Buch mit den Ruinen leben, Flanagan kann mit dem zerfallenen Hotel arbeiten, das bei Dannys Ankunft durch dessen Shining wieder zum Leben erwacht. Spätestens hier geht die Schere der Meinungen auseinander: Begeht Flanagan hier blasphemische Leichenschändung und vergeht sich an Kubricks Vermächtnis? Ich sehe es vielmehr als tiefe Verbeugung eines ausgesprochenen King-Fans, und seine gewollten Rückblicke auf eines der Urgesteine des Horrorfilms sind für mich keine Kopien, sondern fügen sich fließend in die Handlung ein. Jack Torrance kehrt zurück, nicht computerverjüngt, sondern ebenfalls neu dargestellt, übrigens von Henry Thomas in seinem mittlerweile 4. Auftritt in King-Verfilmungen. Tatsächlich sieht er Jack Nicholson hier zum Verwechseln ähnlich; ich empfinde diese Neubesetzungen nicht als lächerlich, sondern im Gegenteil als einzig praktikable Lösung. Und dann gelingt Flanagan ein Kunstgriff: Er kann nun, da das Gebäude ja noch steht, das zeigen, was Kubrick ausgelassen hat ... und so holt Flanagan mit sichtlichem Genuss das von King ursprünglich angedachte Ende des Hotels nach. Wo Kings Showdown auf dem Dach der Welt in einer Antiklimax gipfelt - Dan stellt entgeistert fest, dass sich in dem Schließfach, in dem er einst Mrs. Massey wegsperrte, nur noch ein Häufchen Asche befindet -, entfesselt der Film hier kongenial die alten Geister aus Shining in einem wieder erstarkenden Overlook!
Achtung: extra Spoilerwarnung!!
Was mich im ersten Moment schockiert hat, war Flanagans Entschluss, viel mehr Charaktere zu opfern als King. Abras Vater David wird nicht nur betäubt, sondern massakriert. Billy Freeman wird von Snakebite Andy zum Selbstmord gezwungen - und sogar Danny überlebt nicht, stirbt in den Flammen des Overlook! Das hatte ich beileibe nicht erwartet. Dennoch nimmt der Film kein böses Ende. Man hört nicht auf zu sein, sage ich nur.
Ein Wort zu der auf der Blue-ray-Version verfügbaren Langfassung des Films. Diese wartet kaum mit zusätzlichen Szenen aus, stattdessen sind bereits zu sehende Szenen und vor allem Dialoge verlängert worden (z.B. zwischen Danny und Dick Hallorann oder zwischen Danny und seinem Vater im Overlook), was der Geschichte zwar mehr Tiefe verleiht, aber insgesamt bei einer Gesamtlänge von drei Stunden dem Tempo des Films schadet. Daher bevorzuge ich weiterhin die Kinofassung, die mich ohnehin von Anfang an begeistern konnte.
Fazit: Bis in die Nebenrollen perfekt besetzt ist diese kongeniale Verschmelzung zweier Pole im King-Universum eine der für mich besten King-Adaptionen überhaupt und schafft etwas, was nur wenigen Filmen gelungen ist: Sie bringt der Verfilmung sogar mehr Punkte ein als der Vorlage.
V E
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Artikel zu Doctor Sleep
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