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Pin Up: Rezension

6.510 Byte hinzugefügt, 15:13, 1. Jan. 2016
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[[Stephen King]] erstaunt mich wieder, denn er kann weitaus mehr als Horrorromane schreiben, bestes Beispiel dürfte hierfür diese ''[[Pin Up|Novelle]]'' sein. Ein interessanter Einblick in ein Staatsgefängnis und die Geschichte zweier Gefangener. Besonders gefiel mir dabei wieviel [[Red]] von sich preisgibt und seiner großen Faszination für [[Andy Dufresne]]. Letzterer unschuldig verurteilt, gibt seine Hoffnung nie recht auf, ein neues Leben anfangen zu können, egal ob er dafür 30 Jahre warten muss auf Bewährung oder selbst ausbrechen muss. Es überrascht, dass es meist die Knast-Geschichten sind, die ein menschlich am nahendsten gehen. Offenbar aber eignen sich Leute, die auch ihrer dunklen Seite nachgegeben haben am besten dafür, solche herzergreifenden Geschichten zu erzählen, wenn sie ihre Taten bereuen. Genau das gelingt Stephen King mit dieser Novelle perfekt.
== [[Benutzer:Tiberius|Tiberius]] (5 / 5)==
Es ist in meinen Augen nahezu unmöglich, die Novelle zu lesen, ohne die Figuren von Frank Darabonts Verfilmung im Kopf zu haben. Das ist normal, schließlich dienen uns Verfilmungen meistens als geistige Vorlage, um die Beschreibungen des Autors leichter zu visualisieren. Wenn uns ein anderer - Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und der eine oder andere Schauspieler - die Arbeit dazu abnimmt, sind wir meistens faul genug, sie einfach dankend anzunehmen.
 
Doch Kings Novelle ist soviel mehr, wie seine Adaption. Natürlich steht der Film zurecht ganz oben in der Liste der besten jemals gedrehten Filme bei imdb.com, doch King hat viel mehr Möglichkeiten wie Darabont. Viel mehr Potential, weil er nicht nur auf eine bestimmte Laufzeit und auf bestimmte Filmelemente eingeschränkt ist. Dies ist ein Versuch, Kings Novelle im Mittelpunkt zu halten.
 
King beginnt seine Novelle sehr geschickt. Ich-Erzähler 'Red' ist beliebig und austauschbar. Wir erfahren quasi kaum etwas über sein Äußeres. Dass er rote Haare haben mag, ist nur eine mögliche Erklärung seines Namens. Das hilft jedem Leser, sich in ihn hineinzuversetzen. Auch seine Rolle im Gefängnis - er kann Dinge in den Knast einschmuggeln, aber keine harten Drogen oder Waffen - macht ihn sehr sympathisch. Er ist clever, hat seine Kontakte, um vor Gewalt in Ruhe gelassen zu werden und freundet sich wahrscheinlich mit jedem an. Bei Red ist es enorm wichtig, dass wir ihm bedingungslos glauben, denn er ist die einzige Quelle, die über Andy Dufresne berichtet. Fühlen wir nicht mit ihm, glauben wir auch Dufresne kein Wort. Und dann bietet Kings Novelle genügend Potential um Schwächen herauszufinden.
 
Für mich funktioniert es allerdings. Da ist Reds Geschichte, wie er nach Shawshank kommt. Wie er erzählt, dass die Welt draußen ihn am liebsten Tod sehen würde. Dagegen die Welt im Gefängnis, in der er sich in der Gefangenenhierarchie wahrscheinlich recht hoch gearbeitet hat (sein Schwiegervater wäre darauf womöglich sogar etwas stolz gewesen). Er stellt sich selbst als zuverlässig dar. Als Mann mit einem Gewissen, denn er schmuggelt nicht Alles in den Knast. Aber auch als durchaus resoluten Mann, denn er hat Mittel und Wege Schulden einzutreiben. Und das heißt im Knast wohl eher selten nette Briefe mit dem Bitten auf Nachzahlung.
 
King startet auch die Freundschaft zwischen Red und Dufresne sehr geschickt. Wir erfahren über Dufresne auf die gleiche Weise, wie man wohl über einen Insassen erfahren würde. Die Geschichte, wie er in den Knast kam, ist wichtig. Was er vorher beruflich tat, wird nie so richtig klar - im Gegenteil, erst die zweite Novelle der Sammlung ''Frühling, Sommer, Herbst und Tod'' verdeutlicht, welchen ''Bankerberuf'' Dufresne wirklich ausführte. Die Stelle, an der Red über Dufresnes Verurteilung berichtet, ist die zweite extrem Wichtige. Auch hier müssen wir Red und dieses Mal Dufresne ebenfalls glauben. Wenn ja, haben wir einen unschuldig einsitzenden Dufresne, der während der vielen Jahre Gefangenschaft seinen Stolz behält und schließlich seinen größten Traum im Gefängnis findet: Nämlich frei und unabhängig zu sein. Wenn es aber an dieser Stelle nicht funktioniert, und wir dem Staatsanwalt glauben, ist Dufresne ein riesiger Lügner und Red nicht so intelligent, wie er behauptet hat.
 
Doch King schreibt es glaubhaft. Er verwendet die Fragen, die ich mir selbst stellen würde. Warum kauft ein betrunkener Dufresne Wischtücher, wenn er stockbesoffen vor einem möglichen Attentat sich noch mehr Alkohol besorgt? Warum sollte ein so eiskalter und scheinbar gefühlloser Mann, wie Dufresne im Gerichtssaal beschrieben wurde, so in Rage geraten, dass er seine Frau und ihren Liebhaber erschießt? Das passt nicht zu dem, was Red uns über Andy vorher berichtet.
 
Was danach folgt ist ein Paradebeispiel für eine herzzerreißende Geschichte. Wir sind völlig bei Red und Andy. Während draußen sich die Welt verändert, während sogar innerhalb der Mauern die bestimmenden Leute wechseln, bleiben die Beiden für uns die Konstanten, die sich nur aufeinander zu bewegen und eine innige Freundschaft aufbauen. King verwendet die wechselnden Wärter und Gefängnisleiter um zwei Dinge zu erläutern: Einerseits, wie viel Zeit wirklich verstreicht. Zum anderen: Jeder ist im Gefängnis, weil er etwas falsches getan hat. Egal, ob in einer Zelle, oder im Leiterbüro. Jeder, der die Möglichkeit hat, würde auch kriminell werden. Ironischerweise ist es ausgerechnet der Insasse Andy Dufresne, der den Saubermännern beim Geldwaschen hilft.
 
King reitet dem Ende entgegen, just in dem Moment, in dem wir denken, dass es eigentlich nicht mehr weiter gehen kann. In dem Moment, in dem sich auch bei mir zarte Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Reds Bericht eingeschlichen haben, wird Andy auf den Boden der Tatsachen geholt. Leiter Sam Norton spricht hier meine Gedanken aus: Dufresne verhielt sich so, als würde ihm das Gefängnis gehören. Sein Stolz wird ihm vermeintlich zum Verhängnis. Die Aussage und die 30 Tage Einzelhaft sind wahrscheinlich genau das, was Andy brauchte, um seinen Ausbruch durchzuziehen. Durch die lange Röhrer voller Fäkalien zu kriechen. Ein großartiger Schachzug von King in meinen Augen. Wer weiß, wenn Norton ihm Hoffnung und sie dann quälend langsam zunichte gemacht hätte, vielleicht hätte sich Andy nie getraut durch das Rohr zu kriechen. So aber gewinnt Dufresne und wir mit ihm. Norton dagegen verschwindet. Ob er auf dem Weg dorthin den Pfad mit dem dreckigen Laken kreuzte, welche die Insassen von Shawshank zu Dumpingpreisen wuschen?
 
Normalerweise schreibt King keine guten Enden. Doch hier läuft auch das. Red unterbricht seinen Bericht und wir erfahren, dass er in der Zwischenzeit doch entlassen wurde. Es ist Mitte der 70er Jahre, fast 40 Jahre seit er den Mord an seiner Frau begangen hatte. Wir fühlen mit ihm, wenn er beschreibt, wie hektisch, laut und kompliziert alles sei. Vor allem aber, freuen wir uns mit ihm, als er die von Andy hinterlassene Starthilfe zu seiner eigenen kleinen Flucht entdeckt. Ab in den Süden. Wahrscheinlich hätten sich das Beide vor ihrer Inhaftierung wegen Mordes nie gedacht.
 
Kings Geschichte ist fantastisch. Eine Geschichte von Freundschaft und in meinen Augen vor allem von Freiheit im Gegenzug zu Abhängigkeit. Man hat scheinbar doch immer eine Wahl. Wie so wunderbar geschrieben steht: ''Get busy living, or get busy dying''.
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[[Kategorie:Rezension]] [[Kategorie:Frühling, Sommer, Herbst und Tod]]