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Version vom 12. Dezember 2010, 10:56 Uhr von Croaton (Diskussion | Beiträge) (etwas weiter)

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Croaton (? / 5)

Auch Stephen Kings Sohn Joe Hill hat sich dem Schreiben verpflichtet, doch wenn auch viele seiner Geschichten ähnlich wie die des Vaters im Bereich des Horrors angesiedelt sind, hat Joe seine ganz eigene Stimme gefunden. Seine Kurzgeschichten in der Sammlung Black Box sind zum Großteil klassisch aufgebaut, will heißen, sie schweifen nicht aus, sind sehr handlungs- und oft auch zeitfokussiert; Joe hat auch kein Problem damit, am spannendsten Punkt der Handlung einfach abzubrechen und das Ende der Fantasie des Lesers zu überlassen. Hier ein Überblick über alle Storys inklusive jeweiliger Rezension (diese Auflistung richtet sich nach der US-Originalausgabe, bei der Schehazarades Schreibmaschine als letztes kommt und Die Geretteten nicht enthalten ist):

Schon gleich die erste Geschichte hat mich dadurch schockiert, dass sie am Höhepunkt des Spannungsbogen abbricht. Interessant ist allerdings der Aufbau: Der Verleger Eddie Carroll, der sich auf Horrorerzählungen spezialisiert hat, erhält eine besonders grauslige Kurzgeschichte, deren Inhalt detailliert dargestellt wird, fast eine Geschichte in der Geschichte nur ohne wörtliche Wiedergabe. Eddie wird sehr neugierig auf den Autor namens Peter Kilrue und forscht nach. Umso häufiger er in Sackgassen vorstößt - Kilrue scheint jeden Außenkontakt vermeiden zu wollen -, desto neugieriger wird er. Endlich findet er sein Haus und stattet ihm einen spontanen Besuch ab. Schnell verwischen die Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn; die Szenen in dem Haus sind verstörend: Wie auch Eddie begreift der Leser nicht, was genau in dem Haus vor sich geht, was Kilrue dort treibt, doch etwas stimmt nicht ... Eddie flieht und wird verfolgt - Ende. Was??? möchte man schreien, aber im Rückblick ist es ein gelungener Schockeffekt, so aufzuhören.
Eine der wenigen echten Geistergeschichten (der Originaltitel der Sammlung, 20th Century Ghosts, lässt mehr vermuten) ist eine der behutsameren Art. Ein Geist spukt angeblich in dem Kino, in dem Alec Sheldon seit vielen Jahren arbeitet. Er selbst weiß ganz genau, dass es diesen weiblichen Geist gibt und kann sofort sagen, wer sie in der Tat getroffen hat und wer sich nur fälschlich damit brüstet - denn ein Treffen mit dem vor langer Zeit im Kino verstorbenen Mädchen hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. So geht das Jahrelang, bis dem Kino plötzlich der Abriss droht ... Mäßig gruslig, eher einfühlsam geht Joe der Frage nach, was ein Geist tut, wenn der Ort, an dem er spukt, dem Untergang geweiht ist. Gelungen.
  • Pop Art (2/5)
Sehr seltsam. Bis ich mich an die absurde Prämisse der Geschichte gewöhnt hatte, war sie auch schon vorbei. Die Prämisse: In der Welt des Ich-Erzählers ist es normal, dass manche Menschen ... aufgeblasen sind. So auch sein bester Freund Arthur "Art" Roth, der versucht, trotz dieser "Krankheit" ein normales Leben zu führen, bis er ein Loch bekommt ... Nun, ehm, ja.
  • Der Gesang der Heuschrecken (5/5)
Ich liebe Kafkas Verwandlung, für mich die beste deutschsprachige Erzählung überhaupt. Joe Hill schreibt sie in eine Horrorgeschichte um, ein gewagtes Unterfangen, das aufgeht, auch weil Hill die Verwandtschaft zum Original nicht leugnet. Dass seine Hauptfigur Kay heißt, kann kein Zufall sein, ist K. (im Englischen "kay" gesprochen) doch Kafkas Protagonist in Der Prozess. Auch der Anfang, als Kay aufwacht und sich zum Insekt verwandelt vorfindet, läuft Parallel zu Kafkas Idee. Doch schnell wird's hier viel düsterer, und Kay entkommt bald dem einengenden Raum. Er stellt fest, dass sein neuer Körper eine perfekte Waffe ist - und das weiß er zu nutzen. Kafka trifft auf Hill, eine sehr reizvolle Mischung.
  • Abrahams Söhne (5/5)
Diese Geschichte musste ich trotz ihrer Länge am Stück lesen, so sehr hat sie mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Spätestens als mir klar wurde, dass es sich bei Abraham um niemand anderes als den Dracula-Jäger Van Helsing handelt, war ich völlig fasziniert. Van Helsing versucht, seinen mittlerweile mit ihm in den USA lebenden Söhnen die Angst vor Vampiren einzutrichtern: Sie müssen vor Einbruch der Nacht da sein, dürfen sein geheimes Labor nicht betreten, in dem er sich für den Notfall rüstet. Doch Max und Rudy können den Unfug ihres Vaters nicht glauben und rebellieren - mit fatalen Folgen. Absolut faszinierende "Mini-Fortsetzung" zu Bram Stokers Klassiker; der Schluss ist ein Paukenschlag.
  • Besser als zu Hause (0/5)
Ich kann mit Baseballgeschichten nichts anfangen. Hier auch nicht.
  • Das schwarze Telefon (4/5)
Das unbequeme Thema der Kindesentführung führt schnell zu einer sehr beklemmenden Atmosphäre. Von einem Serientäter gekidnappt findet sich der kleine Finney in einem dunklen Verlies wieder - Endstation für viele unglückliche Kinder vor ihm. Mit in der Dunkelheit: ein seit langem nicht mehr funktionierendes, schwarzes Wandtelefon. Doch der Killer ahnt nicht, dass seine Opfer einen Weg gefunden haben, damit mit Finney Kontakt aufzunehmen ... Sehr düster und spannend aufgebaut, und auch wenn ich keineswegs immer ein Fan des Happy Ends bin, hat es mich gefreut, dass es am Ende gut ausging für Finney; der letzte Satz hat aber wieder Gänsehautfaktor 10.
  • Endspurt (2/5)
Man kann es mit dem offenen Schluss auch übertreiben, so geschehen hier. Der Tunichtgut Kensington kommt dazu, wie eine Mutter ihr sterbendes Kind in den Armen hält, doch während sie behauptet, ein Killer habe sie überfallen, sieht es für Kensington so aus, als habe die Frau selbst zugestochen. Kensington weiß nicht, was er glauben soll, will dem noch lebenden Kind helfen, besudelt sich mit Blut, berührt die Mordwaffe, verstrickt sich immer mehr in den Fall. Dann kommt die Polizei dazu - und aus. Das war so gar nicht mein Fall; immerhin ist Kensingtons Verzweiflung gut geschildert.
  • Das Cape (5/5)
Eine Art Superheldengeschichte nach meinem Geschmack. Der junge Eric fällt beim Heldenspielen vom Baum, da offenbart sein aus einer Kuscheldecke gemachtes Cape seine Superkräfte: Er schwebt in der Luft. Als der Wind das Cape wegreißt, stürzt Eric doch ab ... und hinterfragt fortan das Ereignis. Die Jahre vergehen, das Cape ist verschwunden, immer mehr wirkt die rätselhafte Episode wie ein Hirngespinst. Dann aber findet er das Cape zufällig wieder - und es hat diese Kräfte in der Tat. Wird Eric nun wirklich zum Superhelden? Eine berauschende Story, die eine so überraschende Wende nimmt, dass ich fast mein Kindle fallengelassen hätte. Da packt Joe Hill einen Twist aus der Tasche, der einem Roald Dahl alle Ehre gemacht hätte.
  • Ein letzter Atemzug (4/5)
Dr. Alinger hat ein doch eher seltsames Hobby: Er sammelt letzte Atemzüge und kreiert mit ihnen ein zwielichtiges Museum, in dem man sich diese anhören kann. Im Prinzip hört man gar nichts oder nicht viel - und doch schwingt etwas in den Atemzügen mit, was einem Schauer über den Rücken jagt. Der Leser begleitet zwei Eltern mit einem kleinen Kind in das Museum. Sie sind die einzigen Besucher, und Alinger macht einen unheimlichen Eindruck. Die Mutter lässt sich widerwillig auf die letzten Atemzüge ein und erwischt den einer ehemaligen Miss Florida, die in einer Feuersbrunst verbrannte - keine gute Wahl ... Kurz und fies und mit einem schelmischen Seitenhieb auf den notorischen Trunkenbold Edgar Allan Poe, denn auch dessen letzten Atem konnte Alinger erwerben. Darin deutlich zu hören: das Wort "Whiskey".
Was genau Hill uns mit dieser sehr kurzen Story sagen will, weiß ich nicht. Er stellt die Frage: Können Bäume als Spukgespenster zurückkehren? Zwar beschwört er verstörend schöne Bilder herauf, aber die Geschichte bleibt ohne Handlung.
  • Witwenfrühstück (1/5)
Möglicherweise liegt es an meiner Dummheit, aber ich habe die Geschichte nicht verstanden. Der Landstreicher Kilian findet nach dem Tod seines besten Freundes vorübergehenden Unterschlupf bei einer Witwe. Sie gibt ihm die Kleider ihres verstorbenen Mannes. Am Ende meinen zwei Mädchen, er sehe nun aus, als sei er für den Sarg gekleidet. Das war's. Ähm ...
  • Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück (3/5)
Trotz des genau das Gegenteil verheißenden Titels ist dies eine Erzählung ganz ohne Horror oder Übersinnliches. Nur die Umgebung ist Horror pur: Die Geschichte spielt während George A. Romeros Dreharbeiten von Dawn of the Dead. Bobby sieht nach Jahren seine Jugendliebe wieder und muss damit klarkommen, dass sie Familie hat - und einen Mann, der Bobby Meinung nach so gar nichts Attraktives an sich hat. Eine ruhige, gut geschriebene Story über verpasste Chancen und seltsame Entscheidungen.
  • Die Maske meines Vaters (5/5)
Wohl kaum eine Geschichte des Bandes ist so schwer zu bewerten wie diese. Worum geht's eigentlich? Ich habe sogar das Joe Hill Forum besucht, um mir die dortigen Interpretationsversuche durchzulesen und mit einer gewissen Befriedigung festgestellt, dass niemand Die Maske meines Vaters zu verstehen scheint. So komme ich zu dem Schluss, dass man sie so hinnehmen muss wie etwa Lost Highway, einen meiner absoluten Lieblingsfilme: Verstehen ist zweitrangig - die heraufbeschworenen Emotionen stehen im Vordergrund. Und Maske war derart gruslig, verstörend, faszinierend und beklemmend, dass ich die vollen 5 Punkte geben will. Der 13-jährige Jack fährt mit seinen Eltern zur abgelegenen Hütte des verstorbenen Großvaters. Dort hängen überall Masken, und die Eltern ziehen sie sich sofort über, wollen, dass auch Jack eine trägt. Das Verhalten der Eltern wird immer merkwürdiger, dann wird Jack zum Holzsammeln in den Wald geschickt ... Es ist unmöglich, diese Geschichte zu beschreiben, man muss sie - nein, nicht einfach lesen - man muss sie erleben.

(in Arbeit)