Finderlohn: Rezension
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Croaton (4 / 5)
Den zweiten Teil der Mr. Mercedes Trilogie, Stephen Kings Finderlohn, habe ich in wenigen Tagen nur so verschlungen. Es fängt schon genial an, denn wie der in die Jahre gekommene Schriftsteller John Rothstein von drei Verrückten überfallen und beraubt wird, ist spannend, sein gewaltsamer Tod ein erster Schock. Es geht brillant weiter, da das nächste Kapitel parallel zu dem Anfang in Mr. Mercedes angelegt ist und die Wahnsinnstat des Mercedes Killers aus der Sicht eines weiteren Opfers darstellt.
Als dann die Hauptfigur, der Jugendliche Pete Saubers, dazu kommt, nimmt der Roman noch mehr Fahrt auf, schildert sehr fesselnd abwechselnd zum einen das Schicksal des Rothstein-Mörders Morris Bellamy im Jahr 1978 und Petes Überraschungsfund über 30 Jahre später, denn Pete wohnt nichtsahnend im Elternhaus jenes Killers und findet Morris' Beute ...
Diese Beute freilich ist das Kernstück des Romans: hunderte Notizbücher des toten Schriftstellers, für dessen Inhalt Morris über Leichen zu gehen bereit ist und der auch den literaturbegeisterten Pete in seinen Bann schlägt. Wie es King gelingt, hier die Besessenheit für Bücher und fiktive Helden zu schildern, ist unübertrefflich, und jeder echte Buchfan wird sich hier wiedererkennen - und für viele Leser wird sich ganz automatisch die Frage aufdrängen: Was würde ich dafür tun, um hunderte geheim gehaltene Notizbücher von Stephen King in die Finger zu bekommen?! Das macht alle folgenden Aktionen nachvollziehbar.
Der Roman hat noch zwei große Stärken: Da sind zum einen viele Überraschungsmomente und viele Gelegenheiten für King, die Spannungsschraube mal so richtig zuzudrehen, was er auch tut (wenn Morris in dem Freizeitzentrum Unterschlupf findet, wo die Notizbücher versteckt sind, mag man sich die Fingernägel abkauen). Zum anderen ist Morris Bellamy einer der besten und nachvollziehbarsten Bösewichte seit langem, sticht in seiner Darstellung sogar noch den Mercedes Killer Brady Hartsfield aus. Bis zu einem gewissen Punkt hat der Leser Mitleid mit dem vom Schicksal arg gebeutelten Morris, feuert ihn gelegentlich vielleicht gar an, weil man eigene Charakterzüge in ihm wiedererkennen mag. Irgendwann aber übernimmt der Psychopath in ihm - und dann hat man vor ihm nur noch Angst.
Trotz allem: Für 5 Punkte reicht es nicht. Das liegt zum einen daran, dass das Team rund um Bill Hodges (der übrigens erst auf Seite 135 seinen ersten Auftritt hat) reichlich austauschbar und keineswegs so zentral wie im Vorgängerroman ist, aber das wäre noch zu verkraften. Nicht zu verkraften ist für mich, dass King sich entschieden hat, dem seit dem Ende von Mr. Mercedes im Koma liegenden Brady Hartsfield telekinetische Kräfte zu verpassen - was für ein Fremdkörper in diesem Krimi! Gut, für Finderlohn selbst ist das nicht so tragisch, doch es ist hiermit klar, dass der dritte Teil, Mind Control, übersinnliche Aspekte aufweisen wird, was King sich bei dieser Trilogie wirklich hätte ersparen können.
Fazit: Spannend bis zum Schluss und ein Leckerbissen für jeden, der nachvollziehen kann, wie einen Literatur prägen kann. Und dann kommt da noch eine gelungene Erinnerung an eine gewisse Annie Wilkes. Sie wird zwar nie genannt, doch jeder King-Fan wird bei den letzten Szenen an sie denken.
Mondial (2 / 5)
Hat dieses Buch wirklich King geschrieben?
Auf den Inhalt möchte ich nicht weiter eingehen, der ist an anderer Stelle hinreichend beschrieben. Einiges zum Stil jedoch. Dieser hat mich enttäuscht. Er ist geradezu anfängerhaft und erinnert mich an die Verlagseinsendungen junger Autoren, die ich gelegentlich beurteile. Die sehr in die Länge gezogenen Szenen werden mit flachen Mitteilungen über Handy-Klingeltöne, Hollywoodfilme und wenig tiefgründige Gefühlswelten gefüllt. Der moralisch erhabene Pete tut etwas Verbotenes (!), aber man lässt es ihm gerade noch so durchgehen, schließlich tut er es für seine arme Schwester, die am Boden zerstört ist, weil sie nicht die Privatschule besuchen kann, wo man tolle Schuluniformen bekommt. Natürlich lernt auch Pete seine Lektion und wird so etwas in Zukunft nicht mehr machen. Das Buch strotzt nur so von Klischees, die man aus amerikanischen Seifenopern kennt. Hodges ist der klassische Fernsehdetektiv, der ab und zu ein klein wenig die Regeln übertritt, um einem Bösewicht das Handwerk zu legen. Er tut das natürlich aus Überzeugung, weil er Bösewichte nicht leiden kann.
Die Figuren scheinen schlechten Fernsehserien entnommen zu sein. Einzige Ausnahme ist Morris, der in der ersten Hälfte des Buches sehr gehaltvoll und fast schon ambivalent geschildert wird. Der Leser kann mit dem Bösewicht mitfühlen und erlangt authentische Einblicke in das Innenleben einen Verrückten. Ab der zweiten Hälfte jedoch verfliegt auch dieser Blick und Morris wird als Paradepsychopath geschildert, sodass der durchschnittliche Leser nur noch auf dessen qualvollen Tod hoffen kann. Er wird nicht enttäuscht. Wenn man Bücher wie Sara gelesen hat, ist man mit so etwas nicht mehr zufrieden.
Wüsste ich nicht, dass das Werk von King unterschiedliche Qualität aufweist, würde ich geradezu glauben, dass er dieses Buch nicht selbst geschrieben hat. Das Nachwort enthält Danksagungen, aus denen klar wird, dass viele Personen professionell mitgeholfen haben. Ihre Beiträge finden sich auf jeder Seite, steht dort. Und es ist auch nur logisch, dass hinter einem millionenschweren Autor eine ganze Armada von professionellen Helfern steht. Damit er sich auf das konzentrieren kann, worin er ein Genie ist, das Schreiben. Aber wäre es nicht auch möglich, dass es diesmal umgekehrt gelaufen ist? Dass King vielleicht ein Gerüst geliefert hat, das dann von handwerklich begabten Autoren zu einem Roman ausgearbeitet wurde, natürlich immer unter seiner Aufsicht? Nein, ein Stephen King hat so etwas nicht nötig. Er hat in seinem Leben genug Geld verdient, warum sollte er seinen Namen aufs Spiel setzen? Und dennoch bleibt mir nach diesem Buch ein seltsamer Nachgeschmack.
Andreas (3 / 5)
Es ist schwierig bei einem Roman von Stephen King objektiv zu bleiben. Dazu hat mich der Meister schon viel zu häufig mitgenommen. Nach Maine, nach Colorado, nach Mittwelt und nach New York City. Das führt dazu, dass er einen viel größeren Kredit hat, bis ich zu einem negativen Urteil komme. Das führt aber auch leider dazu, dass ich umso enttäuschter bin, wenn er diesen Kredit verspielt.
Und leider tut es King in diesem Roman. Lasse ich ihm in Mr. Mercedes noch die Umgereimtheiten, weil mir die Charaktere sympathisch vorkommen, wirkt der Zauber bei Finderlohn nicht mehr. Pete Saubers wirkt unglaubwürdig. Bill Hodges und seine Mitarbeiter und Freunde wirken blass und unwichtig, Morris Bellamys Wut und Zorn für mich nicht nachvollziehbar.
Besonders heftig merke ich meinen Unmut bei Pete Saubers. Kinder waren bisher immer Kings Stärke. Carrie und ES wirken deshalb solange nach, weil King es geschafft hatte, die jugendlichen Figuren für mich nachvollziehbar zu Helden zu machen. Bei Saubers versagt er allerdings weitestgehend. Er allein rettet seine Familie ohne größere Probleme? Ausgerechnet er, der das Geld findet, ist auch der zweite größte Fan eines sehr speziellen Autors diesseits des Missouri? Aus der gleichen Stadt wie sein 'Vorgänger'? Und natürlich wohnen er und seine Familie ausgerechnet in dem Haus, in dem Morris Bellamy sich nur allzu gut auskennt? Dass Bellamy seinem eigenen Schatz unbewusst näher ist, wie er befürchtet, wirkt eher wie der 20. Plottwist aus einem Thriller, der routiniert und nicht schockierend daher kommt. Zu viele Zufälle, zuwenig von der Magie, die King so gut beherrscht. Saubers wirkt für mich stellenweise wie ein perfekter Besserwisser, nur um dann in den passenden Momenten die Fassung und seine Cleverness zu verlieren, damit er von Bill Hodges doch noch gerettet werden muss.
Apropos Bill Hodges. Es ist schade, dass er erst so spät auftauchen darf, denn King nimmt sich an der Stelle - etwa in der Nähe der Hälfte des Buches - sehr viel Zeit um ihn in die Handlung zu bringen. Alles an bereits vorhandenem Momentum in der Handlung ging für mich an dieser Stelle verloren. Schlimmer noch ist die Frage, warum es Bill Hodges und seine beiden Assistenten überhaupt braucht? Wir wissen zu diesem Zeitpunkt bereits, auf welchen Konflikt die gesamte Handlung hinausläuft. Quasi hinauslaufen muss. Hodges ist an dieser Stelle eher störend, denn das Wenige, was ich an Sympathie für Pete entwickeln kann und der kleine Rest an nachvollziehbarem Zorn Bellamys geht verloren, während Hodges herauszufinden versucht, was wir von der Handlung schon wissen.
Warum gibt es dann nicht weniger wie 3 von 5 Punkten? Das liegt darin begründet, dass King auch in einem Genre, dass er scheinbar so gar nicht beherrscht, hervorragende Momente hat. Wenn er über Autoren und ihre Bücher schreibt, wenn er Ideen so realistisch zum Vorschein bringt, als hätte er sie live erlebt. Ich fühle mit seiner Furcht vor allzu enthusiastischen Fans mit. Fans, die denken, sie hätten selbst die Macht zu entscheiden, wie es mit Charakteren weiterzugehen habe. Fans, welche die Schwelle zwischen Künstler und Konsument überschreiten. Auf der anderen Seite durch Pete Saubers dann die Sorte Fans, die sich King scheinbar wünscht. Leser, welche die Kunst der Autoren positiv aufnehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen.
Das wirkt genauso wie die Aussicht auf Besserung. Die Aussicht darauf, dass King das Metier des reinen Thrillers verlässt und sich zum Abschluss der Trilogie wieder dem widmet, was er im Schlaf zu beherrschen scheint. Während also der Epilog an anderer Stelle für eine Abwertung sorgt, ist es für mich Grund zur Vorfreude. Geschmäcker sind eben verschieden.
Vermis (4 / 5)
Finderlohn ist für mich etwa genauso gut wie Mr. Mercedes, welche ich beide als Einstimmung auf den Abschlussband noch mal hintereinander las. Kings Stil ist hier derselbe wie im Vorgänger, was man entweder gut oder schlecht finden kann. Ebenso sind auch wieder viele Zufälle und teilweise Klischees vorhanden. Da die Geschichte jedoch trotzdem ein klassisches Krimi-Feeling verbreitet macht das für mich nicht so viel aus. Nachdem ich Mind Control aber schon gelesen habe, fällt zu Finderlohn in meinem Kopf ein unvorteilhaftes Wort:
Lückenfüller.
Die an Mr. Mercedes anschließende Handlung kommt erst im Dritten Teil deutlich, auch wenn King hier schon Foreshadowing betreibt. Diese zweite Geschichte mit Bill Hodges leidet darunter ein wenig, da King diese "Fanatischer-Fan-Geschichte" direkt mit der Tat von Bellamy beginnt, und Hodges erst zur Hälfte auftaucht. So fühlt sich der gesamte erste Teil, also fast 200 Seiten, an wie ein überlanger Prolog zur eigentlichen Geschichte. Das ist schade, denn gerade dem ersten Teil mit den abwechselnden Schicksalen von Morris und Peter möchte ich knapp 5 Punkte geben. Das Hodges und Co. dazu kommen fühlt sich da eher falsch an. Man möge sich vorstellen, wie das Buch geworden wäre, hätte King gleicht mit dem ersten auftauchen von Hodges angefangen, statt sofort alles zu verraten. Das Buch wäre vielleicht ein besseres geworden.
Dennoch weiß das Buch zu unterhalten, wirkt für mich aber als schwächster Band der Trilogie, eben weil die Geschichte so allein stehend ist. Auf der anderen Seite ist das eine von Kings Stärken, das er seine Geschichten anders ablaufen lässt, als man zuerst denkt. Hier ist es nunmal, das der eigentliche Träger der Reihe nur eine Nebenfigur ist, sowie die Ankündigung des übernatürlichen in einer bis dahin realistischen Krimi Reihe.
Horaz Klotz (4 / 5)
Mein erstes Zusammentreffen mit Finderlohn war wohl ziemlich ungewöhnlich: Ich habe es gefunden, gelesen und fand es gut. Ich hatte absolut keine Ahnung, dass es der zweite Teil einer groß angelegten Reihe war. Und ich habe das Gefühl, gerade deswegen mochte ich es so. Ein solcher Einzelband sollte natürlich auch immer allein stehen können, aber für mich funktioniert er so an einigen entscheidenden Punkten besser: Der Anfang um Tom Saubers und sein Zusammentreffen mit dem Mercedes ist keine reine Nacherzählung des ersten Teils sondern eine legitimer Überraschungsmoment. Die Geschichte um die ungleichen Bücherliebhaber Pete und Morris ist ein eigenständiger Erzählstrang und kein langer Prolog bis endlich Hodges Detektivteam auftaucht. Die Anspielungen auf ihren früheren Fall ist elaboriertes Hintergrundwissen, statt ein simples Nacherzählen des ersten Teils inklusive Twists und Schluss (mit dem mir Mr. Mercedes ziemlich versaut wurde). Die Besuche im Krankenhaus sind Teil von Hodges Charakterzeichnung und kein Versuch den Bösewicht aus Buch 1 mit allen Mitteln durch die Geschichte zu schleifen. Und das Ende ist ein augenzwinkerndes "Ja, das ist immer noch eine Stephen King-Geschichte, in der das Übernatürliche hinter der nächsten Ecke wartet" statt ein - letztendlich irreführendes - Sprungbrett für einen 3. Teil.
Daneben umgeht King geschickt eine Falle, in die er bei anderen Literaten-Geschichten nur allzu gerne tappt und verzichtet darauf uns allzu lange Auszüge aus den "Läufer"-Büchern zuzumuten. Am Ende wissen wir genau genug um uns ein Bild über die einzelnen Teile machen zu können - und was sie für die Charaktere bedeuten. Daneben fand ich den zentralen Konflikt des gealterten Autors interessant: Soll man Fortsetzungen zu seinen Klassikern schreiben, selbst wenn man weiß, dass sie ungewohnte Richtungen einschlagen, den Lesern nicht gefallen könnten und vielleicht sogar das Ansehen der Originale untergraben? Ich könnte mir gut vorstellen, dass King solche Fragen aus seiner Arbeit an eigenen unerwarteten Fortsetzungen nicht ganz fremd sind.
Zur Geschichte selber - klar es gab wieder einen ganzen Haufen Zufälle um alles ins Laufen zu bringen, aber das hat mich bei lesen nicht gestört. Sobald die Figuren in Position gebracht sind stellt sich wieder das angenehme Gefühl ein, dass King selber nicht ganz genau weiß, wie es weiter geht und seinen Charakteren die Führung überlässt. Das kann gehörig schiefgehen, wenn er sich in immer komplexeren Einzelstorys verliert, in einer solchen kürzeren Geschichte funktioniert es aber fantastisch. Ich nehme mal an, dass mindestens Morris' düster-passendes Ende von Anfang an feststand und wahrscheinlich auch ungefähr wie es für die anderen Figuren ausgeht. Aber dass King bis dahin unwichtigen Nebenfiguren auf einmal eine so wichtige Rolle zuschustert und plötzlich vergessen hat, dass ein Teil der unbezahlbaren Manuskripte ja noch sicher im Zweitversteck lagert, deutet für mich darauf hin, dass er selbst noch nicht wusste wie genau alles ablaufen soll. Das finde ich - wenn es funktioniert - immer sehr erfrischend.
Das einzige Enttäuschende war für mich, dass der Schluss dann doch reichlich einfach und konsequenzenlos abgewickelt wird. Morris Ende ist genial, weil es so genau in seine Entwicklung passt: Er wirft sein Leben für ein paar Manuskripte weg. Erst im übertragenen, dann im wahren Sinn. Nur die Guten kommen für meinen Geschmack etwas zu einfach davon. Morris wurde so überzeugend als tragische, aber doch hochgefährliche Figur eingeführt, die ohne mit der Wimper zu zucken morden und jederzeit überraschend im Gefängnis aufwachen kann. Da ist es etwas billig, dass er unseren Helden nicht wirklich etwas antun kann - und sogar Kopfschüsse plötzlich kein großes Problem mehr sind, wenn sie einem Happy End im Weg stehen würden.
Fazit: Jeder Teil einer solchen losen Reihe muss daran gemessen werden wie gut er allein funktioniert. Und Finderlohn ist eine wesentlich bessere Einzelgeschichte als ein 2. Teil.
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