Revival: Rezension
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Tiberius (4 / 5)
Stephen King, der Autor von Revival, hat behauptet, dass er ein sehr dunkles Stück Literatur verfasst habe. Dass er am liebsten gar nicht mehr darüber nachdenken möchte, so schreckenserregend sei das Ergebnis seiner Arbeit. Stimmt das? Hat er wirklich ein Buch voller Grauen und Terror verfasst? Schauen wir doch mal.
Revival lebt vor allem durch seine zwei Hauptdarsteller. Jamie Morton, der musikalisch einigermaßen begabte Junge, und Charles Jacobs. Die beiden begegnen sich in Harlow, einem kleinen Ort in Maine Mitte der 60er Jahre das erste Mal. Für beide ist dieser Ort der Auslöser ihres Lebensweges. Jamie, der hier zum ersten Mal eine Gitarre und einen Joint (nicht zur gleichen Zeit) in die Hand nimmt. Jacobs, der seine Familie verliert, dadurch aber den Antrieb zum Erstreben des göttlichen Wissens gewinnt.
Immer wieder kreuzen sich die Lebenswege der Beiden und es erscheint fast ein wenig fragwürdig. Ist soviel Zufall möglich? Haben die knapp drei Jahre ein so enges Band zwischen jungem Pastor und einem Jungen geknüpft? Überhaupt wirkt Revival wie eine Hommage an die klassische Horrorgarde. Jacobs Suche nach dem Blick in das Leben nach dem Tod ist eine so deutliche Hommage an H.P. Lovecraft, dass King seinen Namen auch nennt. Jacobs wird immer mehr zu Dr. Frankenstein, dass es nicht überrascht, dass er am Ende fast genauso allein ist. Die Verwendung von Elektrizität - und speziell von Blitzen - tut ihr Übriges zu der Hommage an Mary Shelley und der Hommage an die Verfilmungen des Kultklassikers. Auch Bram Stoker ist mit dabei, denn Jamie Mortons Aufzeichnungen - er ist Ich-Erzähler des Romans - wirken wie ein Tagebuch in dem er sie Geschehnisse zu verarbeiten versucht.
Dennoch ist Kings Werk alleinstehend. Zwar bedient er sich an klassischen Horrorelementen, aber sie sind nur Beilage, nicht die Basis für Revival. Die große Befürchtung, King würde sich in einer Geschichte über mehrere Jahrzehnte verlieren, hat sich nicht bestätigt. Er begrenzt die Anzahl der wichtigen Charaktere und hat so den nötigen Raum, sie in seiner gewohnten Art zu entfalten und sie uns näher zu bringen. Da Jamie Morton der Erzähler ist, scheint es nicht zu überraschen, dass die Sympathien sofort bei ihm sind. Wir erleben seinen Wandel vom unschuldigen Jungen, zum jugendlichen Musiker, über seinen Tiefpunkt als Heroinjunkie bis hin zum Ende der Geschichte. Es sind interessante Wandlungen, die King ihm zumutet, allen voran die zu dem Charakter, dem wir die Heldenrolle zutrauen. Ich bin bei ihm, aber es gab auch schon Helden, die ihre Aufgabe nachvollziehbarer bekommen haben.
Auf der anderen Seite Charles Jacobs. Der schillernde Ritter Gottes, der zum durchgeknallten narzistischen und vor allem eiskalten Professor mutiert. Genauso wie Morton zum Held wird, bekommt Der ehemalige Pfarrer die Rolle des Bösewichts. Doch im Gegensatz zu den verrückten Medizinern in den Geschichten von Lovecraft gibt King ihm einen Antrieb mit, er sein Handeln einigermaßen verständlich macht. Fast so, als würde der Autor ihm eine Absolution für seine Experimente erteilen.
Zwei nachvollziehbare Helden, Elemente aus der Horrorliteratur, die schon lange vergessen ist. Wo ist da die Grausamkeit? In unseren Köpfen vor allen Dingen. King baut hier nicht nur einen normalen Spannungsbogen auf. Vor allem ab dem Überwinden von Jamie Mortons Tiefpunkt streut er erst leicht, aber dann mit zunehmend höherer Intensität Elemente ein, die einen stutzig werden lassen, die einen zweifeln lassen, dass Jacobs' Experimente und Jacobs' Apparate wirklich so ungefährlich sind, wie der freundliche Ex-Geistliche es uns weiß machen will. Dazu kommt für mich ganz eigener Grusel, als King sehr lebhaft den öffentlichen Auftritt des geistlichen Wunderheilers beschreibt. Wie er erzählt, wie viel Geld ein Scharlatan mit seinen Taten von den Kranken und Bedürftigen einnimmt. Etwas, was Gang und gebe ist und für mich an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Aber das alles dürfte King noch keine Alpträume verursacht haben. Höchstens die Ideenfindung, was auf Jacobs und Morton am Ende warten könnte. Das Finale - Lovecraft wäre stolz - ist auch der Höhepunkt des Grauens. Natürlich. In meinen Augen funktioniert es großartig und ja, es ist grausam. Allerdings nur, wenn man sich auf die vorhergehenden Teile der Geschichte auch einlassen konnte. Es braucht einen Schuss der eigenen Phantasie um das zu begreifen, was King uns vorstellt, aber überwindet man diese Hürde fühlt es sich verdammt gut an.
Kein Licht ohne Schatten. Nicht alles war perfekt. Die Geschichte wirkt an einigen Geschichten unnötig in die Länge gezogen, während manche Situationen einfach so eingestreut werden. Ein Beispiel? King beschreibt, wie Jamies Vater und sein Bruder einen Rennwagen in der Garage zusammensetzen. Dieser - mit der 19 beschriftet - hat in meinen Augen keinerlei Bewandnis für die Handlung. Schlimmer noch, er wird in der ersten Kurve seines ersten Rennens zu Schrott gefahren. Jahrzehnte später sprechen Jamie und Terry erneut über den Wagen, aber auch hier gibt es in meinen Augen keine Symbolik für Jamies oder Terries Situation. Warum also Platz eines nicht gerade episch langen Romans verschwenden, während mit Astrid Soderberg ein Charakter auf erklärliche Art und Weise aus der Handlung kommt nur um es sich scheinbar anders zu überlegen. Überhaupt ist das Druckmittel Jacobs' zur Vorbereitung des Finales in meinen Augen nur schwer nachvollziehbar. Man muss es wohl King zu Gute halten, dass Tabitha wahrscheinlich seine erste und einzige große Liebe war. Die Anzahl derer, die ihr Leben für die Jugendliebe aufs Spiel setzen, dürfte sich aber in Grenzen halten. Oder es ist meine unromantische Ader, die hier durchschlägt.
Mein Fazit fällt allerdings durchweg positiv aus. Es ist eine klasse Geschichte, vor allem aber nicht nur für Fans der klassischen Horrorliteratur. Revival präsentiert den Umgang mit Leid und Verlust auf faszinierende Art und Weise. Nicht aber, ohne das zu vergessen, was wir erwarten durften: Das Grauen, dass einen noch dann bewegt, wenn das Buch zugeklappt wurde.
Croaton (5 / 5)
Na es geht doch! 5 Jahre nach dem letzten Roman Kings, den ich mit 5 Punkten bewerten durfte (Under the Dome), schafft der Meister es endlich einmal wieder, mich zur Höchstwertung hinzureißen! Dabei hat er mit seiner Vorab-Werbung für das Buch Erwartungen geschürt (siehe auch obige Rezension), die er für mich nicht erfüllt hat. Aber nun ja, diese Taktik hat einst schon bei Friedhof der Kuscheltiere funktioniert ... wo sie berechtigter war.
Ja, der für Kingsche Verhältnisse kurze Roman hat seine überflüssig wirkenden Passagen, hat mich jedoch in keiner Sekunde gelangweilt, da es King immer wieder rechtzeitig gelingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, außerdem hatte er mich nach den sehr fesselnden ersten Kapiteln, die in Jamies Kindheit spielen, sowieso unwiderruflich am Haken. Ich mag Geschichten um Wunderheilungen und verrückte Wissenschaftler à la Frankenstein, dann noch die vielen unvergesslichen Einfälle, was die Nachwirkungen der Heilungen betrifft - da beschwört King wie in besten Zeiten Bilder herauf, die irgendetwas Dunkles im Leser ansprechen und ihn in eine Welt ziehen, die man niemals kennenlernen möchte, von der man aber unbedingt mehr lesen will. Ein Widerspruch, wie vielleicht nur King ihn kreieren kann.
Gegen Ende hatte ich zunehmend Angst, der Autor würde sich beim Showdown in jenem Lovecraftschen Kauderwelsch verlieren, das die Kurzgeschichten Crouch End und Omi für mich ruiniert hat, doch da hat er es glücklicherweise bei Andeutungen belassen. Gut, denn so konnte ich mich voll und ganz auf die Vision einlassen ... Die wird wieder einmal die Gemüter scheiden, denn ganz ähnlich wie beim Makroversum (aus ES) oder den Visionen anderer Welten in Der Buick oder Das Schwarze Haus geht hier dermaßen die Phantasie mit King durch, dass viele das Buch kopfschüttelnd in die Ecke pfeffern, andere mit blassen Fingern den Buchrücken umklammern werden. Glücklicherweise gehöre ich zu letzteren - und wenn das Wort Mutter schon seit Psycho vorbelastet ist, so steht es nun endgültig für das Grauen schlechthin. Was ein Glück, dass ich bei wahren Familienmitgliedern abstrahieren kann!^^
Es gibt ein Problem: Es geht zum Ende hin nicht mehr düsterer, King bietet nirgends auch nur den kleinsten Hoffnungsschimmer für Jamie oder auch nur den Leser. Das ist mutig, aber auch ordentlich deprimierend. Einen Punktabzug gibt es deswegen nicht, weil der Roman einmal mehr das geschafft hat, was mich ursprünglich zu einem treuen King-Fan gemacht hat: Ich werde fortan wieder Bilder in meinem Kopf mit mir tragen, die nur er dort einpflanzen kann und die mich in den verschiedensten Lebenslagen begleiten werden. Oder heimsuchen!
Fazit: Purer, blanker, unaussprechlicher Horror? Nein, oder wenn, dann "nur" am Ende. Bis dahin ist es eine faszinierende Geschichte rund um die dunklen Seiten der Religion, um Hoffnungen und menschliche Abgründe. Genial!
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