Roland Deschain
Roland Deschain, der letzte Revolvermann von Mittwelt, ist die zentrale Figur in der Sage um den Dunklen Turm.
Der Sohn von Steven Deschain und dessen Frau Gabrielle ist der dreißigste nachfahre einer Seitenlinie, die von Arthur Eld abstammt, dem mythischen König von Allwelt. Wie das restliche Geschlecht ist Roland ein Krieger des Weißen. Er ist auf der Suche nach dem Dunklen Turm, dem Dreh- und Angelpunkt des Raum-Zeit-Kontinuums.
Rolands Suche nach dem Dunklen Turm
Roland Deschain ist der letzte überlebende Revolvermann von Mittwelt. Wie ein Ritter aus den Artussagen "unserer" Welt befindet sich Roland auf einem Ritterzug. Sein Gral ist der Dunkle Turm, die Nabe des Raum-Zeit-Kontinuums, den er besteigen will, um den ganz oben residierenden Gott oder Dämon zu befragen. Rolands Welt ist dabei, aus den Fugen zu gehen. Die Balken, die für die genaue Ausrichtung von Zeit, Raum, Größe und Dimension sorgen, brechen nacheinander weg, und der Turm selbst könnte bald einstürzen. Diese strukturelle Labilität wirkt sich auf alle Welten aus, aber in Rolands Welt sind die Symptome dramatisch.
Während das Gewebe der Realität dünner wird, entstehen Schwachstellen, die sich immer weiter ausbreiten. Diese blubbernden heulenden Nebelsümpfe verschlingen jeden, der in sie gerät, und lassen die von ihnen Eingefangenen in die finsteren Nicht-Orte zwischen den Welten fallen. Während die Landschaft sich streckt, verändern sich die Himmelsrichtungen. Was heute Westen ist, kann morgen Südewsten und übermorgen Südosten sein. Ein Ziel, das heute nur fünfzig Meilen entfernt lag, kann plötzlich hundert oder sogar tausend Meilen entfernt sein.Das Ziel von Rolands Reise
Als direkter Nachkomme Arthur Elds, des Königs der einstigen Allwelt und letzter Dinh von Mittwelt muss Roland sein Land vor dem Untergang retten. Aber das ist eine Herkulesarbeit. Er muss eine Möglichkeit finden, den Webstuhl zu sichern, auf dem die einander durchdringenden Realitäten gewoben werden. Aber um das tun zu können - um den im Mittelpunkt stehenden Turm und die strahlenförmig von ihm ausgehenden Balken neu abzustützen - muss er durch eine Landschaft ziehen, die so bruchstückhaft geworden ist, dass weder Karte noch Erinnerung ihm helfen können, sein Ziel genau festzulegen. Tatsächlich weiß Roland nicht einmal, wo genau der Turm steht. Er ist sich bewusst, dass er in Richtung Endwelt ziehen muss - aber wo liegt dieses Land? Wie kann er es finden?
In den Anfangsstadien seiner Wanderung wählt Roland der Krieger den Pfad eines Asketen. Weil er glaubt, sein Ziel nur als alleinreisender erreichen zu können, opfert er alle menschlichen Beziehungen, selbst wenn das Verrat bedeutet, weil er sich einbildet, durch solche Opfer rascher voranzukommen. Kameraden und Geliebte bleiben wie preisgegebene leere Wasserschläuche zurück.
Nach Rolands Überzeugung kann er den Turm nur besteigen, wenn ihn nichts mehr an Mittwelt bindet. Er muss isoliert, selbstständig, von den nährenden Banden menschlicher Beziehungen abgeschnitten sein. Roland, der in Begriffen wie Kampf und Eroberung denkt, folgt dem doppelzüngigen Walter durch die Wüsten von Mittwelt, weil er glaubt, sein Feind werde ihn irgendwann zu seinem Ziel führen. Auf ähnliche Weise ist er als Junge den Weg gegangen, den Maerlyns Pampelmuse ihm gewiesen hat - eine Zauberkugel, deren böse verzerrende Visionen ihn erst dazu verleitet haben, seine Geliebte Susan Delgado zu opfern, und dann später seine eigene Mutter zu ermorden.
Was Roland anfangs nicht erkennt, ist die Tatsache, dass er wie jeder junge Ritter auf die Probe gestellt wird. Der Pfad, dem er ursprünglich folgt, erweist sich als Irrweg, nicht mehr als ein von Feinden, die seine Pläne durchkreuzen wollen, rasch aufgeworfener Glammer. Ihr Verrat enthüllt, dass der junge Roland ebenso von Ehrgeiz, Ruhmgier und Rachedurst angetrieben wird, wie ihn die Begierde antreibt, sein Schicksal als letzter Krieger des Weißen zu erfüllen. Indem seine Feinde ihn in Versuchung führen, alles zu verraten, was einem Ritter heilig sein sollte, sorgen sie dafür, dass Roland die Fehler seiner Vorfahren wiederholen und entweder seine Suche als hoffnungslos aufgeben oder sich in den Wüsten und Schädelstätten von Mittwelt verirren wird, die letztlich nur die verdorrten Trümer seines Herzens widerspiegeln werden.
Der junge Krieger Roland versteht das Endziel seiner Suche nicht. Er erkennt nicht, dass er, wie der Betrüger Walter auf dem Golgatha sagt, dem Turm schon so nahe ist, dass über seinem Kopf Welten kreisen[1]. Wegen seiner vorgefassten Meinung und seiner ererbten Weltsicht begreift er nicht, dass sein Los mit dem Schicksal von Mittwelt identisch ist.
Rolands Story ist nicht nur eine Abenteuergeschichte; sie besitzt auch Symbolcharakter. Seine Pilgerfahrt hängt essentiell mit einer Sage aus unserer Welt zusammen - einer Sage, die großen Einfluss auf die Modernisten hatte unbd die Grundlage für ein berühmtes Gedicht von T.S. Eliot bildete. Diese Sage ist die Geschichte vom wüsten Land. Bei ihrem Wiederauftritt im Zyklus ist diese Sage an einen weiteren Glauben gekoppelt, der aus einer Zeit stammt, in der Männer und Frauen ans Gottesgnadentum ihrer Herrscher glaubten. Dieser Weltsicht zufolge ist der Körper des Königs der Körper des Landes, und das Wohlergehen des einen ist vom Wohlergehen des anderen nicht zu trennen. Ist der König körperlich oder geistig krank, dann verfällt das Land. Um das Land zu kurieren, muss man erst den König heilen. Das eine kann nur florieren, wenn mit dem anderen alls stimmt.
Wie oben, so auch unten. Die Krankheit des Größeren ist auch die des Kleineren, und beide schreiten nach denselben Grundsätzen fort. Um zu verstehen, was das Land austrocknet und verwüstet, was sogar das Gefüge des Universums und die Stabilität der einander durchdringenden Welten gefährdet, muss man auch verstehen, woran der König leiden. Alle leiden unter derselben Krankheit, aber um sie heilen zu können, müssen wir ihre eigentlichen Ursachen erforschen. Und das ist der wahre Zweck von Rolands Reise.
Wir alle wissen, dass der Turm einzustürzen droht, weil die Balken nachgeben. Aber wie sieht das Äquivalent auf der menschlichen Ebene aus? Welche Malaise schwächt den Zusammenhalt der Kultur von Mittwelt? Unter welcher Krankheit leidet Roland, der wichtigste Vertreter seiner zerfallenen Welt?
Die Hohe Sprache, die Zunge der Revolvermänner, ist eine komplexe und subtile Sprache. Ihre Wörter sind schwer zu definieren, weil sie voller Nuancen sind. Jedes Wort hat mehrfache Bedeutungen, die sich gleichzeitig auf gewöhnliche menschliche Interaktion, auf das Beziehungsgeflecht zwischen den interaktiven Einzelwesen und das größere Schema der vergangenen und zukünftigen Bewegungen der Menschheit beziehen. Somit ist keine menschliche Interaktion bedeutlungslos. Jede reflektiert das individuelle und das kulturelle Ka.
Ka, das wissen wir, gleicht einem Rad. Tatsächlich hat es große Ähnlichkeit mit dem Rad, das Roland in tot. zeichnet: Ein Rad, dass den Turm, die Balken und die Balkenportale nach Mittwelt hinein und aus ihr heraus darstellen sollte. Auf Rolands Zeichnung ist die Radnabe der Turm, die Speichen sind die Balken und die Niete sind die Portalwächter, die an den Portalen Wache halten. Manche Wächter sind wie die Schildkröte Maturin beschützend, während andere wie der Wächterbär Shardik ausgesprochen gefährlich sind. Aber sie alle dienen den Balken, die Balken dienen dem Turm, und der Turm ist das, was das Universum zusammenhält. Vielleicht funktionieren diese Balken wie Batterien mit positiven und negativen Ladungen, die einander ausgleichen. Das würde erklären, warum die Schildkröte freundlich und der Bär am entgegengesetzten Ende des gleichen Balkens negativ ist. Auch Polarität erfüllt wie bei Lich und Dunkelheit ihren Zweck. Das heißt, solange das Ganze im Gleichgewicht bleibt.
Ka, Ka-Tet und Khef
Obwohl es schwierig wäre, das Ka darstellende Rad so zu zeichen - es ist viel zu groß - können wir uns zumindest die das Ka-Tet bestimmende Kräfte aufzeichnen und uns dabei ins Gedächtnis rufen, dass das Kleine eine Miniatur des Größeren ist. Als Dinh seines Ka-Tet und Dinh von Mittwelt bildet Roland die Nabe dieses Rads. Die Wächter seines gegenwärtigen Ka-Tet sind seine Gefährten: Jake Chambers, Susannah Dean, Eddie Dean und Oy. Später kommt der aus unserer Welt stammende Priester Pere Callahan hinzu. Auch der Zauberer Walter - der beim Ziehen und bei der Verknüpfung dieses Ka-Tets eine wichtige Rolle spielt - lässt sich als einer der Wächter einordnen, obwohl seine Polarität negativ ist.
Genau wie es ein Wort für das Ka-Tet-Schema gibt, gibt es eines für die Bande oder Balken, die das Tet zusammenhalten. Dieses Wort ist Khef. Wie fast alle Wörter der Hohen Sprache hat auch Khef mehrere Bedeutungen, zu denen beispielsweise Geburt und Lebenskraft gehören, aber die am häufigsten gebrauchte Bedeutung ist zugleich die einfachste: Wasser.
Wie Roland seit seiner Wanderung durch die Mohainewüste nur allzu gut weiß, verdurstet ein Mensch viel schneller, als dass er verhungert. Das Gleiche lässt sich vom Land, der Gesellschaft und dem Einzelwesen sagen. Auch hier bleiben die Kräfte und Verhaltensmuster dieselben; Veränderungen gibt es nur in der äußeren Form. Khef kann buchstäblich Wasser, die Essenz des Lebens, bedeuten, aber auch Gefühle, das unermässliche Bindemittel jeder Beziehung. Ob diese Bande nun Treue oder Hass heißen, ist unwichtig - sie binden immer. Das heißt solange die positiven und negativen Kräfte in dynamischem Gleichgewicht bleibn. Ein gewisses Maß an Konflikten ist notwendig, um Wachstum und Veränderung zu ermöglichen, aber zu viel Negatives - zu viel Abstoßendes - bewirkt die Auflösung des Ka-Tet.
Das Ka-Tet-Schema lässt sich dazu benutzen, um die subtilen Interaktionen zu beschreiben, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Ohn diese emotionalen Wechselwirkungen, die einen dynamischen und starken Zusammenhalt erzeugen, erlahmt die Gesellschaft und zerfällt; sie wird zu einer Masse bekriegender Einzelwesen oder Clans. Die segensreiche Verbundenheit innerhalb des Gemeinwesens geht verloren.
Die Khef-Bindung beruht auf Gegenseitigkeit. Beide Seiten müssen dazu beitragen, sonst sind die Bande bestenfalls lose, schlimmstensfalls illusorisch. Beide Seiten müssen von sich selbst geben. Die Einheit eines Ka-Tet hängt von den Khef-Kräften ab. Damit das Ka-Tet überlebt, müssen seine Wächter treu sein, aber ihre Loyalität hängt wiederum von der Treuer und Aufrichtigkeit der Mitte ab. Bleibt sie nicht unbeirrbar ausgerichtet, beginnt die Struktur sich aufzulösen und genau das ist in Rolands Welt passiert - und anschließend wiederum immer wieder in seinem Leben.
Ka ist ein Rad
Ka ist ein Rad; es hat einzig den Zweck, sich zu drehen. Sein Kreisen bringt uns stets an den gleichen ort zurück, so dass wir unseren Fehlern und Niederlagen wieder und wieder ins Auge blicken, bis wir aus ihnen lernen können. Lernen wir aus der Vergangenheit, dreht das Rad sich vorwärts weiter - in Richtung Wachstum und Evolution. Tun wir es nicht, dreht das Rad sich rückwärts, und wir bekommen eine weitere Gelegenheit. Vergeuden wir auch diese Chance, setzt das Rad seine Drehung in Richtung Lähmung oder Zerfall fort. Während die Wörter der Hohen Sprache für Leben und Beziehungen vielfältige Bedeutungen und subtile Nuancen aufweisen, ist das bei Char - Tod - nicht der Fall. Char ist düster und endgültig. Das Rad dreht sich weiter, aber wir werden mit Gewalt von ihm entfernt. Da wir alle unseren Platz innerhalb eines größeren Schemas haben, beeinträchtigt jeder Bruch des Khef die Struktur des Alls.
Was sich von Einzelnen sagen lässt, gilt auch für Gesellschaften, und Rolands Gesellschaft stellt da keine Ausnahme dar. Obwohl Mittwelt relativ stabile Perioden genossen hat, bleibt seine Geschichte überwiegend von Opfern und Blutvergieße geprägt. Auch wenn die Hohe Sprache beweist, dass Einigkeit und gutnachbarliche Beziehungen einen hohen Stellenwert hatten, wurden sie im Alltagsleben überwiegend vernachlässigt. Viele der mittweltlichen Sünden waren Sünden gegen das Khef, die bindende Kraft von ka und Kultur. In der Mittwelt von einst ging das Gleichgewicht zwischen Positiv und Negativ verloren: Khef zu schaffen und zu erhalten wurde weniger wichtig, als Char zu verbreiten. Gerade als die Balken nachzugeben bekannen, fing das Khef das doch einigen sollte, abzustoßen an. Die Wasser des Lebens zogen sich zurück, und Mittwelt wurde zu einer Wüste. Das Ergebnis? Brüchigkeit und Dehydrierung auf allen Ebenen der Realität und in allen Stockwerken des Turms.
Verbindung zwischen Khef, Ka, Ka-Tet und Char
In Die Kleinen Schwestern von Eluria sagt Roland, die Religionen unserer Welt lehrten, dass Liebe und Mord untrennbar miteinander verbunden waren - das Gott letzten Endes immer Blut trank[2]. Beschäftigt man sich näher mit diesem Thema, scheint Rolands Aussage sich durchaus zu bewahrheiten. Die Druiten, das älteste Mittweltvolk, errichteten die Steine der Sprechenden Ringe, um für Menschenopfer bestimmte Tempel zu haben. Obwohl diese Sitte einen Teil des Volkes zusammengeschweißt und ihm ein Gefühl von Einigkeit und Stärke vermittelt haben kann, muss sie auch eine Blutschuld gegenüber dem Opfer und dem Ka-Tet des Geopferten begründet und so die Struktur des Alls beeinträchtigt haben. Schon in diesem frühen Stadium der kulturellen Evolution von Mittwelt begann die durch solches Handeln freigesetzte negative Energie, die Realität auszudünnen. Die Char-Kräfte wurden stärker und die Khef-Kräfte schwächer. Innerhalb dieser Kreise entstanden Türen, aber an diesen minderen Portalen hielten sich nicht Wächter, sondern Dämonen Wache.
Obwohl die später in Mittwelt lebenden Generationen technisch weit fortgeschritten waren, kümmerten sie sich womöglich noch weniger um die Khef- oder Lebens-Wasser-Kräfte als die Vorfahren. Das Alte Volk schuf computerisierte Wunder wie Blaine, die Eisenschienenbahn, oder Andy, den Nachrichtenroboter, und vollbrachte technische und architektonische Glanzleistungen wie den Bau der Stadt Lud und die Verlegung der Bahngleisen tief unter dem Zyklopenhaften Gebirgsmassiv, aber selbst diese scheinbar guten Dinge wurden letztlich durch den Todestrieb ihrer Hersteller vergiftet. Blaine entwickelte sich zu einer psychotischen Persönlichkeit und trieb die Einwohner von Lud zum ältesten Brauch von Mittwelt an: Menschenopfern. Die Stadt Lud, einst das Juwel des Imperiums, fiel in die Hand verrückter, einander bekriegender Banden, und in den Bahntunnels unter den Bergen wimmelte es von Langsamen Mutanten - jenen schrecklichen Wesen, die einst Menschen gewesen, aber durch die Gifte des Alten Volkes völlig mutiert waren. Unabhängig davon, was für großartige Pläne es für die Zukunft der einander durchdringenden Universen hatte, betete das Alte Volk die Char-Götter, die Götter der Zerstörung an. Die technologische Hexerei des Alten Volkes konzentrierte sich allein auf einen Endpunkt, und dieser Endpunkt war die Herstellung immer tödlicherer Waffen. Damit war es erfolgreich. Tatsächlich war es so gründlich erfolgreich, dass es die eigene Zivilisation vernichtete und Mittwelt in ein verseuchtes, ausgedörrtes wüstes Land verwandelte.
Wie Susan Delgado zu Roland sagt, als die beiden entsetzt vor einer Reihe zu Kriegszwecken wieder in Betrieb genommener Öltanks stehen:Die Wege des Alten Volkes sind die Wege des Todes[3] Im Verlauf des Romanzyklus erfahren wir jedoch, dass die Wege des Todes die Wege von Mittwelt sind - und schon immer waren. Selbst unter der Herrschaft Arthur Elds, des größten Helden von Mittwelt, wurden Menschen auf die Charyou-Baum-Scheiterhaufen geworfen, um die Erntegötter zu besänftigen, und noch zu Rolands Zeit war dieser alte Brauch nicht völlig aufgegeben. Wie wir sehen, als Susan Delgado zu einem Sündenbock dieser Art gemacht wird, indem die Schuld für die Sünden ihrer Stadt auf ihr schuldloses Haupt getürmt wird, unterminieren solche Opfer und solche Heuchelei alle menschlichen Beziehungen. Unabhängig davon, welche Ziele sie offiziell verfolgen, erzeugen solche Handlungsweisen Falschheit, Missvertrauen und verrat, die alle das Gegenteil von Khef sind.
Die Ausbildung
In zentraler gelegenen Teilen von Rolands Welt wurden statt Männern und Frauen meistens nur Strohpuppen verbrannt, aber das Leben war dennoch hart, und zukünftige Führer wurden zu Killern ausgebildet, bevor man sie staatsmännische denken lehrte. Um diese Vernachlässigkung des Khef zu rechtfertigen, brauchten die herrschenden Revolvermänner nur auf die Länder im Westen zu zeigen, in denen bereits Anarchie und Rebellion wüteten. In Gilead wurde das Licht der Zivilisation hochgehalten, aber man überließ es den Sanftmütigen und den Lahmen wie Roland s altem Lehrer Vannay, ihre Ideale wie Fairness, Gerechtigkeit und mitgefühl - unabhängig von Herkunft oder Stand des Einzelnen fundamentale menschliche Werte - zu propagieren. Obwohl Roland Vannay liebte, war sein bei weitem einflussreichster Lehrer Cort, der ihn in einer Welt überleben lehrte, in der er ständig ein Messer im Rücken oder wenigstens an der Kehle haben würde.
In Gilead wurden die Söhne der Aritokratie dafür ausgebildet, ein Auge und eine Hand - ein Visir und ein Abzug - z usein, bevor sie lernten, ein Herz und einen Verstand zu haben. Und diese Ausbildung bewirkte oft, wie Roland später zu seinem Leidwesen festellen muss, dass die Hand reagierte, bevor der Kopf Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Gileads Mannbarkeitsprüfungen waren brutal, und der Preis einer Niederlage war die Verbannung, eine völlige Zerstörung des Khef, das den jungen Revolvermann mit seiner Gesellschaft verband. Der Zweck - die Schaffung einer starken, furchtlosen, abgehärteten Revolvermann-Elite, die das anarchistische Dunkel in Schach halten konnte - rechtfertigte letztlich die gewaltsamen und demütigenden Mittel. Aber das Ka macht keine Ausnahmen. Wie man sät, so erntet man, und die Ernte ist nicht immer angenehm. Die ausgebildeten Killer - Leute wie Eldred Jonas - die aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden, wurden die Söldner der nächsten Apokalypse von Mittwelt.
Das Beispiel Steven Deschain
Die Revolvermänner konnten nicht sehen, dass die Fäulnis, die das Gewebe der Welt anfraß, zugleich das Khef ihrer Stadt und das Khef ihrer persönlichen Beziehungen vergiftete. Dafür ist Steven Deschain, Rolands Vater ein hervorragendes beispiel. Er war für die Wege des Char ausgebildet, aber das Wasser des Khef war in ihm und um ihn herum ausgetrocknet. Er blieb bei den anderen Revolvermännern - menschliche Falken wie er - verbunden, aber die Bande, die er zu seiner Frau gehabt hatte, trockneten aus, und seine Beziehung zu seinem Zauberer Marten Broadcloack - der zugleich sein wichtigster Berater war - war falsch und doppelzüngig. Selbst im Umgang mit Roland - den er offenbar liebte - war er schroff und distanziert. Am Hof oder im Königreich war die Lage keinesfalls besser. Hax, der Oberkoch wurde ebenso zum Verräter wie zumindest einige Wachen. Weil alle Bande der Loyalität gebrochen wurden und es kein Bewusstsein eines kulturellen Ka-Tet mehr gab, wandten sich viele ab, um im Heer des Feindes John Farson zu dienen. Farsons Propaganda mit Gleichheit und Demokratie war nur erfolgreich, weil sie mehr als ein Körnchen Wahrheit enthielt und die Entfremdung und den Zorn einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft ausnützte.
Zuletzt wurden die Revolvermänner besiegt und ihre Stadt geschleift, während ihr ehemaliges Schloss zur schmutzigen Höhle einer Bande Langsamer Mutanten verkam. Die Kräfte der Auflösung gewannen den begehrten Boden, und die universellen Khef-Wasser zogen sich noch weiter zurück. Mit dem Fall von Gilead bracht das Ka-tet des Bundes schließlich zusammen, und ein weiterer Teil der Welt streckte und dehnte sich und geriet aus den Fugen.
Wie wir im Fall von Steven Deschain gesehen haben, erzeugt der isolierte und zurückhaltende Herrscher, der nicht dem größeren Ka-Tet dient, nicht die Wechselwirkung und Empathie, die erforderlich sind, um die Teile einer Gesellschaft zu einem Ganzen zu vereinen. Er benimmt sich nicht, wie es ein wahrer Dinh tun sollte. Obgleich die Krankheit schon vor ihm existiert hat und er letztlich nur ein weiteres Opfer der universellen Malaise ist, trägt er als Thronfolger die Sünden vergangener Könige und vergangener Königreiche auf seinen Schultern. Als Mittelpunkt des kulutrellen Ka-Tet muss er wählen: Er muss das stabile Zentrum seines Königreichs werden und gegen die Seuche der Fragmentierung ankämpfen oder letzten Endes das Schicksal seiner Altvorderen erleiden. Er kann den bestehenden Zyklus fortführen - oder er kann Buße tun, sühnen und sich ändern. Die Krankheit des Landes und die der Gesellschaft spiegeln das Ka des Königs wider. Um die Drehrichtung des Rades umzukehren und den Auflösungsprozess aufzuhalten, muss der König in den Weltspiegel sehen, aber darin die Reflexion des eigenen Gesichts und der Angesichte der Väter erkennen.
Rolands Aufgabe
Als wir Roland in Schwarz erstmals begegnen, ist er ebenso sehr ein Antiheld wie ein Held. Er ist ein Mensch, der bereit ist, die Mitglieder seines Ka-Tet zu opfern, um seine persönliche Vision zu verwirklichen zu können, genau wie seine Vorfahren die Trockenlegung des Khef im Namen des "Fortschritts" oder der "Notwendigkeit" gerechtfertigt haben. Susan Delgado, Roland erste und einzig wahre Liebe, verbrennt auf einem Charyou-Baum-Scheiterhaufen, weil er sich nicht lange genug von seiner Suche abbrigen lässt, um sie zu retten. Jake Chambers stürzt in den Abgrund in den Bergen, weil Roland sich weigert, seine Verfolgung auch nur für kurze Zeit zu unterbrechen. Selbst Rolands Mutter Gabrielle stirbt von seinen Revolvern, diesen symbolischen Waffen seines Vaters. Wie der betrügerische Walter O'Dim andeutet, als er Roland auf dem Golgatha die Tarotkarten legt, wird sein Ka niemals Leben, sondern immer nur Tod umfassen, solange er, der Gehängte, nicht den symbolischen, zentralen Platz des Turms einnimmt, sich den Bedürfnissen der Welt anpasst und sich auf die Khef-Kräfte konzentriert, die ihn mit dem Gefangenen, der Herrin der Schatten und dem Seefahrer vereinigen. Solange er nicht seine Menschlichkeit zurückgewinnt - die definitionsgemäß aus Güte und Achtung vor den Bedürfnissen des Lebens besteht - wird er den Turm niemals erreichen, sondern stets nur dessen bedrückende Last empfinden.
Roland, der isolierte Einzelgänger, versteht es zu überleben, aber er ist nicht mehr als ein Fragment eines größeren, verloren gegangenen Mosaiks. Sein Leben besitzt keinen Sinn. Wie die Landschaft durch die er zieht, ist seine Seele zu einem wüsten Land geworden. Wie wir in Schwarz, aber auch zu Beginn von Drei sehen, findet Roland sich nach jedem Verrat an Khef in einer immer kahleren Landschaft wieder. Nach seinem Missgeschick in Tull verdurstet Roland fast in der Gluthölle der Mohainewüste. Nachdem er Jake in den Abgrund hat stürzen lassen, findet er sich erst auf dem Golgatha, einem mit Knochen übersäten alten Schlachtfeld, und später an dem einem Fegefeuer gleichkommenden Strand am Westlichen Meer, wo Monsterhummer zwei seiner Finger und ein Stück von einer seiner Zehen verschlingen. Erst als Roland sich Gefährten zieht - erst Jake, dann Eddie und Susannah - wird die Landschaft wierder freundlicher. In diesem Augenblick entdeckt Roland - der einsame, nur auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse fokussierte Krieger, seine Menschlichkeit wieder. Bedeutsamerweise sind es die Augenblicke, in denen er der Vollendung seiner Suche tatsächlich ein Stück näher kommt. Es ist kein Zufall, dass Roland den Jungen Jake an der Zwischenstation entdeckt, wo er auch das zum Überleben notwendige Wasser findet, und danach zusammen mit Jake den Mann in Schwarz enholen kann. Auf ähnliche Weise entkommt er dem von Monsterhummern wimmelnden Strand am Westlichen Meer erst, nachdem er Eddie und Susannah in seine Welt und aus ihren persönlichen Höllen gezogen hat. Und erst gemeinsam mit Eddie und Susannah entdekct er den Bär-Schildkröte-Balken, der ihn letztendlich direkt zum Ziel führt.
Im Gegensatz zu seinen Vorfahren beginnt Roland, die Zusammenhänge zwischen seiner Welt und sich zu begreifen. Er fängt an, aus seiner persönlichen Vergangenheit und der Vergangenheit von Mittwelt zu lernen. Im gesamten Zyklus wirft Eddie Dean immer wieder vor, eine vom Dunklen Turm besessene Mordmaschine zu sein, aber je weiter Roland auf seinem Weg fortschreitet, desto weniger trifft diese Anschuldigung zu. Dieser Roland ist entschlossen, sich trotz allen Gefahren, die am Wegesrand lauern, seine Menschlichkeit zu bewahren. Dieser Roland will ehrbar leben, gut leben und gerecht leben. Und genau das versucht er im Verlauf dieses Zyklus größtenteils zu tun.
In Schwarz lässt Roland Jake in den Abgrunf stürzen, in tot. dagegen riskiert er das eigene Leben, um in vor dem Dämon in der Villa in Dutch Hill und später den auf Knaben versessenen Banden in Lud zu retten. Als das Ka-Rad sich weiterdreht und ihn zu einer Schwachstelle zurückführt, die große Ähnlichkeit mit der hat, die er als junger Mensch in Hambry erlebte, erzählt Roland seinen neuen Gefährten von seinem Verrat an Susan Delgado und danach von der Ermordung seiner Mutter. Man könnte glauben, er müsse die eigenen Sünden gegen das Khef bekennen, um sie hinter sich lassen zu können. Dieser spätere Roland ist sich seiner selbst bewusst und gesteht seine früheren Fehler ein. Er erkennt sein Potenzial für Verrat und bekämpft es energisch. Er etnwickelt sich trotz der plappernden, aufstachelnden, rachsüchtigen Stimme des Mannes in Schwarz weiter. So wird aus einem Mann, der zunächst nur ein einfacher Krieger war, allmählich ein König.
Rolands Ka und Khef
Ka ist Schicksal, aber nicht nur ein Einzelschicksal. Die Sünden, für die Roland büßen muss, sind nicht nur seine eigenen, sondern die aller Herrscher und Kulturen, die ihm vorangegangen sind. Deshalb ist Rolands Pilgerfahrt durchs wüste Land auch eine Büße für die Menschenopfer in Arthur Elds Regierungszeit und für die Zeit der Sprechenden Ringe. Sie ist Buße für das Alte Volk, seinen Machthunger und seine Hybris, die es dazu trieben, die Grundstruktur der Welt zu zerstören. Sie ist Buße für die hierarchische Inflexibilität des einstigen Gilead und die von Farsons Heer inszenierte gewalttätige, zerstörerische Rebellion. Und sie ist seine Buße für - und seine Waffe gegen - die Fragmentierung, die jeneer bösartige Fürst des Chaos - der Scharlachrote König - zu befördern versucht.
Khef ist das, was Dinh und Ka-tet eint, was König und Königreich eint, aber es ist auch letztlich die Kraft der Balken und die Kraft, die bewirkt, dass multiple Universen sich weiterhin um den Turm als Achse drehen. Um den Dunklen Turm zu retten, um alle von ihm abhängigen Welten zu retten, muss Roland die Wasser des Khef bewahren. Er muss der Welt eine neue Vision geben, die kulturelle Bedeutung von Fortschritt neu definieren und seinen Landen den Sinn dafür zurückgeben, was wahrhaftig heilig ist. Um Reinheit und Stärke des Khef zu bewahren, muss er die Grausamkeit der bisherigen Geschichte von Mittwelt irgendwie abmildern.
Bei jeder Entscheidung - persönlich, national, global - steht er von tausend möglichen Resultaten, und jedes dieser Ergebnisse weist den Weg in eine andere mögliche Zukunft. Jede dieser Zukünfte wird anders sein, wird eine einzigartige Zeitlinie spinnen, die nur in dieser neu entstandenen Welt existiert. Trotzdem bleiben all diese zukünftigen Welten miteinander verbunden, auch wenn ihnen die Existenz der jeweils anderen nicht bewusst ist. Diese Verbindung geht auf den Augenblick ihrer Entstehung zurück, der Bestandteil einer Ewigkeit ist, die jeden Augenblick umfasst, der jemals war oder jemals sein wird. Sie alle sind durch den Turm miteinander verbunden.
Die Rote Rose
Um den Dunklen Turm zu retten, um dafür zu sorgen, dass es für alle diese Welten eine Zukunft gibt, und um sicherzustellen, dass mehr und mehr Welten geboren werden, muss Roland sich in die mythische Geschichte seiner Welt begeben - er muss sich in unsere Welt wagen. In der Folgezeit wird es nicht etwa seine Aufgabe sein, einen König oder Königreich zu retten, sondern eine einzelne Rose. Diese Rose, die auf einem unbebauten Grundstück in der Großstadt New York steht, die eines Tages das technologische Oz des Alten Volkes, der Quell seines Stolzes und die Saat seines Untergangs sein wird. Bevor Roland, der große Krieger des Weißen, den Turm retten kann, wird er sein Leben riskieren müssen, um eine zarte Blüte zu retten, deren gelbe Mitte der Ursprung aller Welten und deren Stimme die Stimme des Ja und Immer ist. Er muss eine bescheidene Rose retten, die in unserer Welt das Symbol der Einigkeit und das Symbol der Liebe ist.Allein durch ihre Bildhaftigkeit verkörpern Turm und Rose das symbolische Männliche und das symbolische Weibliche, die sich vereinigen, um das Universum zu gebären - und das Leben. Durch diese Vereinigung werden sie zu dem Einen, das zugleich der Mittelpunkt aller Existenz und der Mittelpunkt des integrierten Ichs ist. Diese beiden Polaritäten, die so unvereinbar anmuten, bringen aggressiven Wagemut und passives Bewahren zusammen, die in uns um die Vorherrschaft ringen, um an hohen Idealen festzuhalten, und das, was in uns flexibel genug ist, um menschliche Schwächen in uns un anderen zu tolerieren. Sie vereinen uns mit uns selbst und mit unserer persönlichen Vergangenheit, aber auch mit der größeren Welt. Auch wenn der Turm vielleicht höher als der Himmel ist, und obwohl die Rose villeicht nur ein einziges Lied singt, das aus den tiefsten Tiefen des Universums aufsteigt, sind beide - wie Roland in seinen Träumen und Visionen sieht und hört - aus einer Vielzahl von Stimmen und Gesichtern gewoben. Der Turm und die Rose vereinigen sich, um die Achse des Ichs zu bilden, aber sie fungieren auch als brutal ehrlicher Spiegel, der enthüllt, wo wir uns selbst und die Welt betrogen haben. Diese beiden, die das Eine sind, enthalten die Stimmen und Gesichter von Rolands verratenen Geliebten, die Erinnerungen an seine Sünden wider das Khef. Und mit diesen muss Roland sich auseinandersetzen, wenn es zur Endabrechnung kommt.
Roland zieht als Sünder und Erlöser zugleich durch die das Fegefeuer vertretenden wüsten Lande seiner Welt. Er ist gleichzeitig König, das Land und Jedermann. Im Laufe seiner Pilgerfahrt muss er lernen, sich selbst zu erkennen. Und nur so kann er beginnen, sich dem Turm zu nähern.
Wissenswertes
Während der Ereignisse in Hambry (siehe Glas) benutzt Roland den Namen Will Dearborn aus Hemphill. Der Name "Dearborn" ist der Mittelname des Autors Louis Dearborn LaMoore.
Quellen
- ↑ aus DT I: Schwarz (orig. The Gunslinger), Seite 290
- ↑ aus Die Kleinen Schwestern von Eluria, S. 182
- ↑ aus DT IV: Glas, Seite 438
Hauptpersonen des Zyklus | |||
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