Der Anschlag: Rezension: Unterschied zwischen den Versionen
[unmarkierte Version] | [unmarkierte Version] |
K (→Mr. Dodd: Hätte ich doch fast die Bewertung vergessen.) |
|||
Zeile 44: | Zeile 44: | ||
Fazit: Interessante Grundidee, sehr starker Einstieg, sehr zähe Mitte (Jodieweile kann meiner Meinung nach schon als Synonym dafür herhalten), dramatischer Höhepunkt und ein unbefriedigendes Ende. King hätte den Fokus vielleicht noch ein bisschen mehr auf das Attentat und die Auswirkungen legen sollen, anstatt die Susan-Roland-Beziehung im Gewand von zwei Schullehrern neu aufleben zu lassen. | Fazit: Interessante Grundidee, sehr starker Einstieg, sehr zähe Mitte (Jodieweile kann meiner Meinung nach schon als Synonym dafür herhalten), dramatischer Höhepunkt und ein unbefriedigendes Ende. King hätte den Fokus vielleicht noch ein bisschen mehr auf das Attentat und die Auswirkungen legen sollen, anstatt die Susan-Roland-Beziehung im Gewand von zwei Schullehrern neu aufleben zu lassen. | ||
+ | |||
+ | == Landkärtchen (4 / 5)== | ||
+ | |||
+ | Beim Abwasch oder der Dienstreise: Die deutsche Hörbuchversion, gesprochen von David Nathan (u.a. Synchronsprecher von Johnny Depp), ersetzt nicht nur die Buchstaben sondern trägt dazu bei, das Kopfkino noch deutlicher werden zu lassen. Aber es müssen schön viele Haushaltstätigkeiten oder etwas Reisetätigkeit zusammen kommen, ehe man die ca. 30 Stunden hinter sich gebracht hat. Und ich muss zugeben: Unterbricht man dieses Kino eine Zeit lang, was gezwungenermaßen nicht ausbleibt bei 30 Stunden, erfordert es schon etwas Energie, nach einigen Tagen der Pause die Radiomusik wieder abzuschalten und sich wieder zu vertiefen. | ||
+ | |||
+ | Was wir serviert bekommen ist keine Kurzgeschichte. | ||
+ | |||
+ | Aber das sieht man vor dem Kauf. Es war zu erwarten, dass bei diesem Volumen das volle Spektrum an Gefühlen, Fakten und Fantasien zusammen kommen wird. Dass man nicht in jedem Absatz Spannung erwarten kann, sondern sich auch auf andere literarische Werte wird einlassen müssen. Und dass es sich hier um einen Roman mit historisch faktischen Elementen handelt, die akribisch recherchiert in die Inszenierung eingebettet werden müssen. Es ist zu erwarten, dass historische Details den Leser ermüden lassen, ehe dann die Fantasie wieder die Oberhand gewinnt. | ||
+ | |||
+ | Doch das stimmt nicht ganz. Gerade der historisch exakte Ablauf des Attentats, soweit er denn bekannt ist, wird in eine schnelle Abfolge an Handlung mit gehörig Spannung eingebettet. Der Verlust Sadies an dieser Stelle ist zwar literarisch primitiv, aber trotz allem ein notwendiger Bestandteil, um den Roman so abzuschließen, wie er endet. (Noch heftiger wäre es gewesen, wenn Sadie bereits im Bus das zeitliche segnet -- oder noch besser: Es dem Protagonisten in diesem Zeitstrang nie wirklich bekannt wird, ob sie überleben wird.) Jedoch... | ||
+ | |||
+ | ...darf man diesen Roman in der Spannungserwartung eben nicht über-strapazieren. Im Gegensatz zu einem reinen Fantasie-Roman gibt es hier noch den äußersten Rahmen der Historie. Der für den Leser wahrhaftig realistisch ist. Das ist das tatsächlich Besondere. Die Rahmenhandlung spielt in unserer Welt. Zu einem Zeitpunkt als wahrscheinlich der die Erde und uns vernichtende 3. Weltkrieg nie näher stand als zu diesem Zeitpunkt. | ||
+ | |||
+ | Dieser Punkt. Genau bei diesem Punkt waren während der gesamten Hörphase meine Fragezeichen am größten: Wird King es wagen, eine im US-amerikanischen Sinne fatale Entwicklung der Spannungen im Rahmen der Kubakrise zu entwickeln, die einen dritten Weltkrieg als Ergebnis zur Folge haben? Wird er es wagen, Kennedy leben zu lassen, um eine für das heutige Amerika und die Welt klare Entscheidung zu fällen? Wäre es mit einem jungen Präsidenten möglich gewesen, die Farce eines dritten Weltkriegs auszulösen? Weil die Weitsicht eines Mannes über die Folgen nicht ausreichend waren? Weil es die 99 Luftballons am Himmel zwischen Kuba und Amerika gab, die einen Gegenangriff in russische Richtung auslösten? | ||
+ | |||
+ | Welchen Kunstgriff würde King anwenden, um diesem politischen Spagat geschickt auszuweichen? | ||
+ | |||
+ | Nein. Hier hat mich King enttäuscht. Er ist dieser Brisanz ausgewichen, in dem er in die Region der Schurkenstaaten ausweicht. Nicht ganz. Er hat dem alten Amerika zugetraut, eine Bombe in Vietnam fallen zu lassen. Politisch in den Langzeitfolgen korrekt gehalten mit den verheerenden Wirkungen der Entlaubungsmittel, die Amerika statt dessen einsetzte. Aber immerhin: Er hat den Vietnamkrieg kritisiert. Aber das ist politisch gerade noch korrekt in einer Demokratie. | ||
+ | |||
+ | Nun, er hat sich um all das herum gewunden. Statt dessen müssen Zeitstrangverschlingerungen mit akustischen Phenomänen und Erdbeben herhalten, um dem Protagonisten den Rest zugeben, der Liebe zu Sadie nicht hinterher zu jagen, sondern die Welt wieder zu richten. Wobei: Rein logisch müsste er bei seiner letzten Rückkehr in die Zukunft (Jetztzeit) noch einmal kurz zurück gehen, um auch den letzten Strang (der seiner Rückkehr, in der er nur noch seine Aufzeichnungen machte) auszulöschen. Warum tat er diesen logischen Schritt nicht? Warum schreibt er ewig an seinen Erlebnissen, um sie zu verbuddeln? Er hätte sie doch nur mitnehmen brauchen? Warum, warum? | ||
+ | |||
+ | Am Ende bleiben Fragen offen. Aber nur über das Ende. | ||
+ | |||
+ | Ich würde den Sinn der Kartenmänner nicht überstrapazieren. Auch nicht die Logik der parallelen Zeitstränge. Aber warum gibt King den Kartenmännern in Form eines Neuen Kartenmannes einen so wesentlichen Sinn? Der Ordnung der Zeit halber? Dann wäre es ein Leichtes gewesen, die letzte Rückkehr auch noch auszulöschen und die Blase zum erlöschen zu bringen. | ||
+ | |||
+ | Genau genommen ist doch aber die Schnittstelle der Zeitreise gar nicht der entscheidende Punkt der Handlung, sondern die Verhinderung des Anschlags verbunden mit den persönlichen Erfahrungen des Protagonisten über die Zeit. Den Dingen die davor passierten. Diese Dinge machen den Schwerpunkt des Buches aus. Die Liebe zu Sadie insbesondere. Der allerletzte Abschluss ist dann auch wieder sehr gefühlsbetont und im Einklang mit 90 Prozent des Buches. | ||
+ | |||
+ | Für mich ist das Buch ein spannungsvoller Liebesroman mit fantastischen Elementen und realistischem Bezug. In diesem Sinne hat es mich in seinen Bann gezogen. Und ich bereue nicht, David Nathan zugehört zu haben, der all den unterschiedlichen Personen recht eindeutig zu identifizierende Stimmen verliehen hat. Das macht das deutsche Hörbuch so faszinierend. Dazu kommt der historisch detailliert recherchierte Ablauf um Lee Oswald. Die Mischung aus historischer Realität und Fantasie fand ich sehr ausgewogen, dem Handlungsablauf nach dem Attentat jedoch kommt ein bisschen einem professionellen Coitus Interruptus gleich. So, als ob der Verlag endlich den Abschluss des Romans verlangt hat. Oder King selber schon in den Überlegungen zum nächsten Roman steckte und den "Alten" zum Abschluss bringen musste. | ||
+ | |||
{{weiterführend_Der Anschlag}} | {{weiterführend_Der Anschlag}} | ||
[[Kategorie:Rezension]] [[Kategorie:Der Anschlag]] | [[Kategorie:Rezension]] [[Kategorie:Der Anschlag]] |
Version vom 17. Mai 2012, 00:43 Uhr
Vorhandene Rezensionen |
---|
• Romane |
• Kurzgeschichten |
• Hörbücher |
• Filme |
• Expertenrezensionen |
Zum Portal |
- Rezension schreiben
- Gehe in der oberen Leiste auf Bearbeiten
- Trage deinen Benutzernamen in eine Überschrift
- Füge in (Klammern) eine Wertung von 0 (sehr schlecht) bis 5 (genial!) ein
- Schreibe deine Meinung!
==Benutzername (? / 5)== deine Meinung
Viel Spaß!
Inhaltsverzeichnis
Wörterschmied (3 / 5)
Das Buch Der Anschlag ist genau das, was man vor dem ersten Aufschlagen erwartet: Absolut jede Erwartung (in positiver wie negativer Sicht) wird haargenau erfüllt:
- Positiv
- Der Einstieg ist wie bei Kings jüngsten Werken (Die Arena) direkt und kommt ohne lange Erklärungen aus.
- Aus sprachlicher Sicht ist das Buch gelungen, auch wenn es bei Weitem nicht an den Wortwitz von Wahn heranreicht. Das Buch liest sich widerstandslos wie der Unterwäschekatalog von Victoria's Secret.
- Mindestens 19 verschiedene Implementierungen einer bestimmten Zahl und augenzwinkernde Verweise auf Werke wie den Dunklen-Turm-Zyklus und ES.
- Negativ
- Gerade die Ich-Perspektive macht es schwer, dem Protagonisten eine handfeste Charakteristik zu geben und seinen Charakter zu entwickeln. Ähnlich wie Dale Barbara ist Jake Epping glatt wie ein Aal und flutscht durch die Seiten, in der Hoffnung an irgendeiner Ecke oder Kante hängen zu bleiben, genau wie seine begrenzt-dimensionalen Sidekicks.
- Es gibt keinen echten Antagonisten. Die Taten von Lee Oswald sind Jake bis ins Kleinste bekannt und vorhersagbar, letztendlich wird er zum Opfer. Der Bunte-Karten-Mensch kommt seiner Rolle als Zeitenwächter(?) nur bedingt nach und hätte stärker in die Handlung involviert werden müssen - wo sind eigentlich die Langoliers die ganze Zeit?
- Aus rund 850 Seiten im Original hätte man gut und gerne eine 400-Seiten-Geschichte machen können ohne die Spannung zu nehmen - im Gegenteil!
- Ernsthafte Frage: Wer hat etwas anderes erwartet, als dass Oswald durch Jake erschossen wird, während dieser Sadie tötet und Jake, nachdem er erkannt hat, dass man die Geschichte nicht verändern sollte (duh!), alles wieder zurücksetzt und die Handlung des Buches damit an sich nichtig macht? Interessanter wäre es gewesen, wenn der namensgebende Anschlag in der ersten Hälfte des Buches vereitelt geworden wäre und Jake in der zweiten Hälfte von den schlimmen Folgen eingeholt wird und letztendlich selbst derjenige wird, der JFK erschießt, weil Oswald die ganze Zeit unschuldig war.
- Ungeklärt
- Warum 4-5 Jahre in der Vergangenheit verweilen, wenn Jake bereits durch einige Recherche herausfinden könnte, wo Oswald sich 1958 befindet, um ihn dort abzuknallen? Sollte er wirklich einen Komplizen gehabt haben oder unschuldig gewesen sein, ließe sich das durch Reise in die Gegenwart sofort überprüfen. Die Reset-Funktion reduziert Jakes Vorgehensweise (eigentlich!) auf ein Trial-and-Error-Verfahren, dessen Durchlauf in wenigen Tagen stattfinden könnte. Die Idee, die Polizei durch einen anonymen Anruf auf Oswald aufmerksam zu machen, wäre auch zu einfach gewesen ...
- Fazit
- Das Potenzial der Grundidee wird von King leider nur zu 19% ausgeschöpft.
Croaton (4 / 5)
Ich liebe Zeitreisen und war sofort von der Idee begeistert, dass King sich diesem Thema endlich einmal ausführlicher widmen wollte. So waren meine Erwartungen an den Roman Der Anschlag äußerst hoch.
In den ersten 11 Kapiteln des Buchs war ich gefesselt, zum einen von Kings Zeitreisetheorien als auch von Jake Eppings ersten Versuchen, in den Lauf der Dinge einzugreifen. Die Welt und die Ausgangssituation, die King hier aufbaut, ist erstklassig und sehr mitreißend. Leider kommen dann jedoch ganze 10 Kapitel, die zum einen Großteil derart politisch sind, dass ich oft den Faden verloren habe und zum anderen Details derart dezidiert beleuchten, dass eine Raffung um mindestens 200 Seiten kein Verlust gewesen wäre. Dann die vielen Anspielungen auf das Amerika der späten 50er und frühen 60er, die mir entgingen und sich auch in einer Sprachwahl niederschlugen, die mir selbst mit Wörterbuch schleierhaft blieben (@ Rezension Wörterschmied: "Das Buch liest sich widerstandslos"??? Kann ich überhaupt nicht nachvollziehen!) – das hat mich ermüdet und mir den Spaß genommen.
Am Ende gibt der Roman wieder mehr Gas, aber da hat man schon einen faden Geschmack im Mund. Auch versäumt King es, die Rolle der Kartenmänner schlüssig zu erklären, übertreibt meines Erachtens zu sehr bei der Negativdarstellung des alternativen 2011 und entscheidet sich dann auch noch dazu, mit Hilfe des Reset-Tricks wieder zum Status Quo zurückzukehren, was so ähnlich ist als ende ein Roman mit den Worten: "Und da wachte er auf und stellte fest, dass alles nur ein Traum war."
Fazit: Im Grunde ein 3er-Roman, dem ich wegen der insgesamt gelungenen Zeitreise-Aspekte und der vielen Anspielungen auf andere Werke doch gerade so 4 Punkte erteilen möchte. Trotzdem lässt mich Der Anschlag etwas enttäuscht zurück, da ich ihn nach der ersten Ankündigung schon in meine Top Ten hineinhoffte …
Mr. Dodd (3 / 5)
Zunächst ein Hoch auf die deutsche Übersetzung. Nach Das Attentat gibt es nun Der Anschlag. Als ob in Deutschland mit dem 22.11.1963 niemand was anzufangen wüsste. Und dennoch lässt sich hier sogar eine dieser Harmonien erkennen, denen Jake Epping bei seiner Reise in die Vergangenheit immer wieder begegnet, be beiden Romanen taucht besagtes/r Attentat/Anschlag erst im letzten Fünftel zentral auf.
Was lässt sich zu dem Buch sagen? Ich finde es als Allererstes toll, dass King endlich seinen langen Traum erfüllen konnte, ein Buch darüber zu schreiben, was passieren würde, wenn das Kennedy-Attentat verhindert werden würde. Hinweise dazu gab es schon im Langoliers-Film und im Dunklen Turm Zyklus. Schon die Größe des Buches sorgte dabei bei mir für zwiespältige Gefühle, denn zum einen freute ich mich auf die Zeitreisen-Thematik, zum anderen war ich ungewiss, wie Spannung über tausend Seiten erzeugt werden soll, wenn am Ende ein bekanntes Ereignis steht.
Genau so wurde Der Anschlag dann auch. Die ersten Kapitel fand ich wahnsinnig gut, die Zeitreisetheorien von King gefielen mir ganz gut (auch wenn hier einige Paradoxa auftreten, denn hätte es nicht jedes Mal einen neuen Al und Jake geben müssen bei jedem Neustart) und die Art und Weise, wie Jake erst einmal probiert, ob Änderungen wirklich möglich sind war eine gelungene Einleitung. Dann jedoch sackt der Roman ab, als er zu seiner richtigen Aufgabe übergeht und versinkt in oft seitenlange Langeweile, die ich mit einem Wort betiteln kann: Jodie. Der Ort wirkt auf Jake so gut, die Bewohner sind so nett und das mit Sadie ist eine so perfekte Beziehung, dass es nur langweilig werden konnte. Mir wird erstens nicht klar, wie es ein Mann aus dem 21. Jahrhundert es schafft, sich so perfekt in den 1960er Jahre zu integrieren, irgendein Fehler muss ihm einfach passieren, der seine Tarnung auffliegen lässt. Noch dazu wirkte die Sadie-Beziehung, die natürlich aus einer schweren Familie kam und mit einem durchgedrehten Irren verheiratet war, wie ein neumodischer Aufguss von der Susan-Roland-Beziehung, der mich allerdings kaum überzeugte oder irgendwie berührte.
Interessanter wurde es erst, als Jake wieder öfter Jodie verließ, um seine Vorbereitungen für Lee Harvey Oswalds Ankunft zu treffen, sowie die Bespitzelung seiner Familie. Richtig gepackt hat mich dann die Geschichte, als Jake zusammengeschlagen wird, die Vergangenheit sich immer stärker wehrt und er gerade so das Attentat verhindern konnte, wobei natürlich, oh Wunder, Sadie sterben musste.
Der Höhepunkt war der katastrophale Zustand der Welt bei seiner Rückkehr, auch wenn ich mir hier mehr Details gewünscht hätte. Ein bisschen verschaukelt kam ich mir aber dann doch durch den Reset vor (700 Seiten Handlung zum Vergessen) und die eher lahme Rolle der Karten-Männer. Wenn sie nun alles wissen, wieso können sie nicht eingreifen oder kaum verhindern, dass Zeitreisende alles durcheinander bringen? Hier wäre mehr möglich gewesen. Beispiel: Jake will zurück, um Sadie zu retten, doch der Grüne-Karte-Mann zerstört den Kaninchenbau und Jake muss für immer ab 1963 leben.
Fazit: Interessante Grundidee, sehr starker Einstieg, sehr zähe Mitte (Jodieweile kann meiner Meinung nach schon als Synonym dafür herhalten), dramatischer Höhepunkt und ein unbefriedigendes Ende. King hätte den Fokus vielleicht noch ein bisschen mehr auf das Attentat und die Auswirkungen legen sollen, anstatt die Susan-Roland-Beziehung im Gewand von zwei Schullehrern neu aufleben zu lassen.
Landkärtchen (4 / 5)
Beim Abwasch oder der Dienstreise: Die deutsche Hörbuchversion, gesprochen von David Nathan (u.a. Synchronsprecher von Johnny Depp), ersetzt nicht nur die Buchstaben sondern trägt dazu bei, das Kopfkino noch deutlicher werden zu lassen. Aber es müssen schön viele Haushaltstätigkeiten oder etwas Reisetätigkeit zusammen kommen, ehe man die ca. 30 Stunden hinter sich gebracht hat. Und ich muss zugeben: Unterbricht man dieses Kino eine Zeit lang, was gezwungenermaßen nicht ausbleibt bei 30 Stunden, erfordert es schon etwas Energie, nach einigen Tagen der Pause die Radiomusik wieder abzuschalten und sich wieder zu vertiefen.
Was wir serviert bekommen ist keine Kurzgeschichte.
Aber das sieht man vor dem Kauf. Es war zu erwarten, dass bei diesem Volumen das volle Spektrum an Gefühlen, Fakten und Fantasien zusammen kommen wird. Dass man nicht in jedem Absatz Spannung erwarten kann, sondern sich auch auf andere literarische Werte wird einlassen müssen. Und dass es sich hier um einen Roman mit historisch faktischen Elementen handelt, die akribisch recherchiert in die Inszenierung eingebettet werden müssen. Es ist zu erwarten, dass historische Details den Leser ermüden lassen, ehe dann die Fantasie wieder die Oberhand gewinnt.
Doch das stimmt nicht ganz. Gerade der historisch exakte Ablauf des Attentats, soweit er denn bekannt ist, wird in eine schnelle Abfolge an Handlung mit gehörig Spannung eingebettet. Der Verlust Sadies an dieser Stelle ist zwar literarisch primitiv, aber trotz allem ein notwendiger Bestandteil, um den Roman so abzuschließen, wie er endet. (Noch heftiger wäre es gewesen, wenn Sadie bereits im Bus das zeitliche segnet -- oder noch besser: Es dem Protagonisten in diesem Zeitstrang nie wirklich bekannt wird, ob sie überleben wird.) Jedoch...
...darf man diesen Roman in der Spannungserwartung eben nicht über-strapazieren. Im Gegensatz zu einem reinen Fantasie-Roman gibt es hier noch den äußersten Rahmen der Historie. Der für den Leser wahrhaftig realistisch ist. Das ist das tatsächlich Besondere. Die Rahmenhandlung spielt in unserer Welt. Zu einem Zeitpunkt als wahrscheinlich der die Erde und uns vernichtende 3. Weltkrieg nie näher stand als zu diesem Zeitpunkt.
Dieser Punkt. Genau bei diesem Punkt waren während der gesamten Hörphase meine Fragezeichen am größten: Wird King es wagen, eine im US-amerikanischen Sinne fatale Entwicklung der Spannungen im Rahmen der Kubakrise zu entwickeln, die einen dritten Weltkrieg als Ergebnis zur Folge haben? Wird er es wagen, Kennedy leben zu lassen, um eine für das heutige Amerika und die Welt klare Entscheidung zu fällen? Wäre es mit einem jungen Präsidenten möglich gewesen, die Farce eines dritten Weltkriegs auszulösen? Weil die Weitsicht eines Mannes über die Folgen nicht ausreichend waren? Weil es die 99 Luftballons am Himmel zwischen Kuba und Amerika gab, die einen Gegenangriff in russische Richtung auslösten?
Welchen Kunstgriff würde King anwenden, um diesem politischen Spagat geschickt auszuweichen?
Nein. Hier hat mich King enttäuscht. Er ist dieser Brisanz ausgewichen, in dem er in die Region der Schurkenstaaten ausweicht. Nicht ganz. Er hat dem alten Amerika zugetraut, eine Bombe in Vietnam fallen zu lassen. Politisch in den Langzeitfolgen korrekt gehalten mit den verheerenden Wirkungen der Entlaubungsmittel, die Amerika statt dessen einsetzte. Aber immerhin: Er hat den Vietnamkrieg kritisiert. Aber das ist politisch gerade noch korrekt in einer Demokratie.
Nun, er hat sich um all das herum gewunden. Statt dessen müssen Zeitstrangverschlingerungen mit akustischen Phenomänen und Erdbeben herhalten, um dem Protagonisten den Rest zugeben, der Liebe zu Sadie nicht hinterher zu jagen, sondern die Welt wieder zu richten. Wobei: Rein logisch müsste er bei seiner letzten Rückkehr in die Zukunft (Jetztzeit) noch einmal kurz zurück gehen, um auch den letzten Strang (der seiner Rückkehr, in der er nur noch seine Aufzeichnungen machte) auszulöschen. Warum tat er diesen logischen Schritt nicht? Warum schreibt er ewig an seinen Erlebnissen, um sie zu verbuddeln? Er hätte sie doch nur mitnehmen brauchen? Warum, warum?
Am Ende bleiben Fragen offen. Aber nur über das Ende.
Ich würde den Sinn der Kartenmänner nicht überstrapazieren. Auch nicht die Logik der parallelen Zeitstränge. Aber warum gibt King den Kartenmännern in Form eines Neuen Kartenmannes einen so wesentlichen Sinn? Der Ordnung der Zeit halber? Dann wäre es ein Leichtes gewesen, die letzte Rückkehr auch noch auszulöschen und die Blase zum erlöschen zu bringen.
Genau genommen ist doch aber die Schnittstelle der Zeitreise gar nicht der entscheidende Punkt der Handlung, sondern die Verhinderung des Anschlags verbunden mit den persönlichen Erfahrungen des Protagonisten über die Zeit. Den Dingen die davor passierten. Diese Dinge machen den Schwerpunkt des Buches aus. Die Liebe zu Sadie insbesondere. Der allerletzte Abschluss ist dann auch wieder sehr gefühlsbetont und im Einklang mit 90 Prozent des Buches.
Für mich ist das Buch ein spannungsvoller Liebesroman mit fantastischen Elementen und realistischem Bezug. In diesem Sinne hat es mich in seinen Bann gezogen. Und ich bereue nicht, David Nathan zugehört zu haben, der all den unterschiedlichen Personen recht eindeutig zu identifizierende Stimmen verliehen hat. Das macht das deutsche Hörbuch so faszinierend. Dazu kommt der historisch detailliert recherchierte Ablauf um Lee Oswald. Die Mischung aus historischer Realität und Fantasie fand ich sehr ausgewogen, dem Handlungsablauf nach dem Attentat jedoch kommt ein bisschen einem professionellen Coitus Interruptus gleich. So, als ob der Verlag endlich den Abschluss des Romans verlangt hat. Oder King selber schon in den Überlegungen zum nächsten Roman steckte und den "Alten" zum Abschluss bringen musste.
| ||||||
|