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Aktuelle Version vom 8. Mai 2016, 23:15 Uhr

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Bilder, Galerien, visuelles
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Texte, nutzbares
T1, T2, T3
Meta, über alles ... und so
M1, M2

Charyou Baum Teil I

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In Roland Deschains Kindheit wurde die Ära Arthur Ellds als das Goldene Zeitalter gepriesen. Der sage nach waren die Männer von Eld tapferer, die Frauen anmutiger und die Gesellschaft anständiger und gerechter. Im Sattel seines weißen Hengstes Llamrei schwang Arthur sein Schwert Excalibur und ritt ständig zu Abenteuern aus, von denen er unweigerlich siegreich zurückkehrte. In seiner siebzehnjährigen Herrschaft trieb dieser historische König die Banditen von Mittwelt in die Wüsten zurück und rottete die Menschen fressenden Mutanten aus. Er erlegte die große Schlange Saita und zähmte die Feuer spuckenden fliegenden Verlorenen Bestien von Eld. Unter Arthurs Führung wurden unbedenkliche Teile der Technik des Alten Volkes wiederbelebt, während deren Waffen entweder demontiert oder gänzlich vernichtet wurden. So genoss das neu gegründete Königreich Allwelt die Magie von Glühbirnen und Eismachern und Heizgeneratoren ohne weitere biochemische oder nukleare Katastrophen befürchten zu müssen. Was für ein Zeitalter der Wunder das damals gewesen sein muss!

Wenn die Bürger von Mittwelt in solchen Erzählungen von den heldentaten des Eld schweigten, vergaßen sie allerdings, wie ungeheuer schwierig das Leben in jenem ersten Jahrtausend nach dem Großen Katalysmus gewesen war. In jenen vergifteten Jahren kämpften die Bürger von Allwelt darum, eine bessere Gesellschaftsordnung zu schaffen und ein gesetzloses Land wieder der Herrschaft des Gesetzes zu unterstellen, aber es gab viel weniger greifbare Hindernisse, die nicht durch das Schwert, die Armbrust oder den Revolver überwunden werden konnten. In jenen Tagen verpesteten die Gifte des Alten Volkes noch Luft, Erdreich und wasser, und selbst der süße Honig von wilden Bienen erwies sich oft als giftig.

In dem jahr, in dem Arthur Eld zum König von Allwelt gekrönt wurde, konnten die meisten Frauen keine Kinder gebären. Die wenigen, die schwanger wurden, brachten häufig entweder Missgeburten oder gar Totgeburten zur Welt. Vier von fünf Kälbern, die geworfen wurden, hatten zusätzliche Beine oder Augen, und ihr Fleisch wara größtenteils ungenießbar. Ähnliches galt für Hühner und Schweine, und selbst Getreide war zumeist verdoreben. Obwohl die Dörfer und Städte nun vor Banditen sicher waren, wurden auf dem Land fast keine gesunden Kinder geboren, und die Bevölkerung hungerte. Auch wenn Arthur und seine Höflinge weiter zu Gan und den Wächtern

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des Balkens beteten - jenen mächtigen Geistern, die den Dunklen Turm beseelten und den Fortbestand des Raum-Zeit-Kontinuums überachten -, verlor das gemeine Volk allmählich den Glauben an sie. Es fühlte sich von Gan und den Wächtern verlassen.

Nirgends wurde das Versagen der alten Götter stärker empfunden als im vergifteten Grenzland von Mittwelt am Rand der brodelnden magischen Prim. In diesem Gebiet war das erdreich so verseucht, dass die Menschen Schuhleder essen mussten, und das Kauen von Teufelsgras galt als bewährtes Mittel zur Betäubung von Hungerschmerzen. Dort war seit über einem Jahrzehnt kein Kind mehr geboren worden, und die Reis- und Maisfelder waren so trocken, dass die einzigen Erträge, an denen Überfluss herrschte, die von Wackersteinen und Hautblüten waren.

Die Einwohner des Dorfs Brockest inmitten des Grenzlands hatten es längst aufgegeben, die in den Städten verehrten Götter anzubeten. Sie brauchten eine neue Religion; eine, die dafür sorgte, dass ihre Felder fruchtbar waren. aber welche Götter konnten sie zu diesem Zweck anrufen? Wie konnten sie zu Bessa oder Buffalo Star, Oriza oder Seminon, S'Mana oder der alten Mutter beten, wenn sogar der den Dunklen Turm beseelende Geist sie verlassen hatte? Um die Verzweiflung zu steuern, beschlossen die Ältesten von Brockest, eine Ratsversammlung einzuberufen. Alle Dörfer und Kleinstädte des Grenzlands sollteneinen Bevollmächtigten in ihre Versammlungshalle entsenden, damit sie gemeinsam beraten konnten, wie es weitergehen sollte.

Nacheinander trafen aus allen Regionen des Grenzlands mit Staub bedeckte Abgesandte ein, die höchstens magere Mutie-Esel ritten, wenn sie nicht lediglich zu Fuß unterwegs waren. Auf den ungepflasterten Straßen von Brockest herrschte erstmals Gedränge, aber diese Massen waren erschöpft, abgezehrt und entmutigt. Hustende und hinkende Männer und Frauen in löchrigen Umhängen und zerschlissenen Umschlagtüchern betraten die Versammlungshalle. Sobald der letzte Besucher auf einer der schlcihten Holzbänke Platz genommen hatte, schloss der gewählte der Sprecher der Stadtältesten - dessen Hosen so verblichen und vielfach geflickt waren, dass nicht einmal er selbst wusste, welche Farbe sie ursprünglich gehabt haten - die Tür und ging nach vorn. Er hustete mit vorgehaltener Hand, dann räusperte er sich gewichtig, begrüßte die versammelten Abggesandten und begann seine Rede. Wie sie alle wüssten, lebten die Menschen des Grenzlands am Rand der als die Prim bekannten wogenden See aus urzeitlicher Magie. Sie seien so weit von den Innerwelt-Baronien entfernt, dass alle - auch Gan, der Gott des Dunklen Turms - sie vergessen hätten. Sie seien auf sich allein gestellt, wie sie's immer gewesen seien, und könnten nur überleben, wenn es ihnen irgend gelinge, die Erde wieder fruchtbar zu machen.

Aber bevor der weißhaarige Sprecher ausführen konnte, wie er sich die Lösung des Problems dachte, flog die Tür der Versammlungshalle mit lautem Knall auf. Die erschrockenen Abgesandten fuhren herum zu sehen, wer hereingekommen war. Auf der zersplitterten Schwelle der Halle stand dort im verschleierten Licht des Tages ein grißer graubärtiger Magier. Dieser Magier, der sich Maerlyn nannte, erklärte den Leuten, such wenn er keine menschlichen Wesen vertrete, so komme er doch als Abgesandter zu ihrer Versammlung. Er komme als Sprecher ihrer nächsten Nachbarn, der Bewohner der Prim, die ihnen einige Ratschläge erteilen wollten.

Beredt schilderte Maerlyn dieüberkommenen Götter von Mittwelt als schwach. Der Dunkle Turm stehe schief auf geborstenen Fundamenten, die Balken würden nicht mehr lange halten, und Lady Oriza irre blind und blutend über die Erde. Die einzigen Gottheiten, sie jetzt noch helfen könnten, seien die zornigen Götter, zu denen das Alte Volk gebeten habe. Diese als Can-Char bekannten hungrigen Gottheiten waren die Götter des Todes.

Wenn die Bewohner des Grenzlands ihre elende lage ernstlich bessern wollten, würden sie allerdings dafür bezahlen müssen. Leben gegen Leben - dieses Prinzip galt im gesamten Universum. Als die Ureinwohner von Mittwelt begonnen hätten, das Land zu bestellen, hatten sie als Abschluss jeder Ernte den Göttern der Druit-Steiine ein noch schlagendes Menschenherz geopfert. Bevor das Alte Volk so hochmütig geworden war, dass es nur noch die eigene Technologie angebetet hatte, hatte es die Fruchtbarkeit seiner Felder dadurch gesichert, dass es jemanden aus seinem Stamm auf dem Erntefeuer verbrannt und das gebratene Fleisch dann den Göttern der Erde dargebracht hatte.

Wenn die Folken sich nur wieder auf die ältesten Bräuche besannen und den Can-Char einen Menschen opfertn, dann sei der Hunger der Todesgötter gestillt. Und während diese Götter befriedigt dösten, würden wieder Kinder geboren werden und Ernten heranwachsen. Ein Menschenleben - das sei doch bestimmt nicht zu viel verlangt.

Die Bewohner des Grenzlands weigerten sich entsetzt, Maerlyns Vorschlag zu befolgen. Der Magier zuckte nur mit den Schultern. Aber als er Brockest verließ, um in seine Höhle am Ufer der Prim zurückzukehren, lächelte er in sich hinein. Die giftige Saat war gesät. Sie brauchte nur Zeit, um aufzugehen. Schon bald würden sich die Ungeheuer der Prim an gerösteten Menschenleibern gütlich tun

Im Berst jenen Jahres brachten die Bewohner des Grenzlands Lady Oriza ein neugeborenes Kalb als Opfer dar, damit sie die nächste Ernte

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ließ. Sie opferten S'Mana einen Stier in der Hoffnung, den Lebenden und den in Zukunft Geborenen würden solch ständige Leiden erspart bleiben. Sie brachten der Göttin Chloe Körbe mit Scharfwurzel dar und schütteten Fässer mit Graf auf den Feldern aus, um die Geister der Kraft zu besänftigen - jedoch alle vergebens. Im Frühjahr trieb die Saat nicht die erhofften Schösslinge aus, und die wenigen Fohlen der gesunden Stuten im Grenzland fielen dem giftigen Herbstnebel zum Opfer. Eine weitere Missernte folgte, und danach kam noch eine. Nach vier Jahren zunichte gewordener Hoffnungen erinnerten die hungernden, verzweifelten Menschen sich wieder daran, was der Magier Maerlyn ihnen geraten hatte.

Maerlyn hatte anscheinend recht gehabt, so schrecklich das auch war. Lady Oriza war tot; Gan und die Wächter waren tot. Einzig die Can-Char triumphierten. Der Hunger der Todesgötter musste gestillt werden, und ein entsprechendes Opfer erschien vielen nicht mehr so schrecklich. Nachdem sie so viele Ehefrauen und Mütter, Söhne und Brüder begraben hatten, war eom weiteres Opfer vielleicht kein zu hoher Preis für die Rettung der noch Lebenden. Wie viele Tausende würden schließlich sterben, wenn die Erde nicht wieder Frucht zu tragen begann?

Zwie Tage vor dem Erntefest zogen die noch halbwegs Kräftigen in einen abgestorbenen Wald des Grenzlands und stöberten dort einen Geisterholzbaum auf, dessen Kern nicht allzu

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verrottet war. Sie hieben ihn um, und nachdem sie ihn entastet hatten, schafften sie ihn nach Brockest, wo sie ihn auf dem Dorfanger so eingruben, dass er senkrecht stehend wie ein anklagender Zeigefinger gen Himmel wies. Um seinen toten Stamm heerum häuften sie die Zweige des Geisterholzbaums sowie trockene Farne und altes Laub auf. Als sie mit dden Vorbereitungen fertig waren, traten sie zurück, um ihre Arbeit zu begutachten. Was einst ein heiliger Geisterholzbaum gewesen war, war jetzt etwas nicht weniger Heiliges, wenn auch ungleich Schrecklicheres. Es war ein Charyou-Baum. Nun musste nur noch das Opfer bestimmt werden.

Achtzehn Jahr zuvor hatte die Einwohnerschaft von Brockest drei neugeborene Jungen in ihrer Mitte begrüßt. Einer hatte einen Klumpfuß, dem anderen fehlte ein Arm, aber der dritte war körperlich vollkommen. Obwohl dieser Säugling mit Freudenrufen begrüßt worden war, merkten die Bürger bald, dass der dritte Junge zwar stark wie ein erbgesunder Ochse war, aber im Gegensatz zu den beiden anderen, die intelligent waren und rasch lernten, nicht imstande war, irgendetwas zu lernen. Es war dieser Jüngling - schön anzusehen, aber unmöglich zu unterrichten -, den die Dorfbewohner den Can-Char zu opfern beschlossen.

Als sie ihn zum Scheiterhaufen führten, folgte der Jüngling ihnen gefügig. Als sie ihn an den Stamm banden, lachte er wie ein Kleinkind, weil er das für irgendein neues Spiel hielt. Kaum geriet ihm jedoch der Rauch in die Kehhle, da begann er zu husten und zu weinen, und als ihm die Flammen ins Gesicht schlugen, schrie er laut. Der hübsche Kind-Mann, der nie etwas hatte behalten können, lernte endlich etwas: dass Vertrauen gefährlich sein konnte. Aber selbst wenn er diese neue Erkenntnis hätte artikulieren können, wäre sie zu spät gekommen. Rauch und Flammen hatten ihn verzehrt.

Das Feuer loderte zwölf Stunden lang, aber der Geruch nach verbranntem Fleisch hing noch weit länger in der Luft. In dieser Nacht träumten die Dorfbewohner, riesige rote Spinnen zögen, dem Geruch von verbrannteer Haut folgend, an ihren Häusern vorüber. Und als sie die Asche des Charyou-Baums erreichten, kämpften die behaarten achtbeinigen Monstrositäten miteinander um verkohlte Knochenreste.

Im Frühjahr darauf waren die Felder erstmals seit der Großen Verseuchung, die das Grenzland in ein vergiftetes Ödland verwandelt hatte, wieder mit üppigen grünen Schösslingen bedeckt. Und im Spätsommer kamen zwei gesunde Kinder zur Welt. Das Charyou-Baum-Opfer hatte gewirkt - zumindest glaubten das die Bewohner von Brockest. Die Nachricht verbreitete sich im gesamten Königreich, und im folgenden Herbst brannten überall in Allwelt zum Fest der Erntezeit Scheiterhaufen und Menschenopfer.

Obwohl es weitere Missernten gab und immer wieder missgebildete Kinder und Tiere zur Welt kamen, war der Glaube an den Charyou-Baum unerschütterlich. War die Ernte gut, dankte man den Göttern, indem man ihnen einen einzelnen Menschen darbrachte; fiel sie jedoch schlecht aus, wurde die Zahl der Opfer erhöht. Charyou-Baum, skandierte die Menge. Tod für dich, Leben für die Saat. Die Feuer zum Erntefest brannten so heiß, dass die Angehörigen der Geopferten fürchteten, die hungrigen Flammen würden sich niemals austreten lassen. Zwar irrten sie sich darin, aber es sollte die Geburt einer wirklichen Abscheulichkeit erfordern, um sie schließlich zu löschen.

Charyou Baum Teil II

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