Revival: Rezension: Unterschied zwischen den Versionen
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Mit ''Revival'' zeigt King mal wieder eindrucksvoll was ihn von anderen Horror-Autoren abhebt: Nicht die Monster, die kriegen andere gruseliger hin. Nicht die Handlung, die ist oft genug halbwegs vorhersehbar oder verläuft sich in etwas unmotivierten Enden. Es sind die Charaktere, mit denen er seine fantastische Welt bevölkert und die schnell ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. Charles Jacobs ist ein solcher Charakter. Nach den ersten Seiten glaubt der Leser zu wissen wohin sich der gute Reverend entwickeln wird, doch der Charakter schlägt immer wieder Haken, taucht an unvorhergesehen Orten und in überraschenden Rollen auf. Und bleibt trotzdem überzeugend konsequent. Als autodidaktischer Tüftler, der ganz nebenbei über große physikalische Geheimnisse des Universums stolpert, erinnert er an eine menschenfreundlichere Version von naturwissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern à la Dr. Axel Stoll, die nüchterne Formeln mit düsterer Esoterik verbinden. Der Unterschied ist, dass Jacobs in Kings durchgedrehtem Universum natürlich richtig liegt und in seinem Bastelkeller tatsächlich mal so eben alle Gesetze der Physik über den Haufen wirft. Nach dem dramatischen Unfall war ich mir eigentlich sicher, wie die Story weiter gehen muss und wer hier ''revived'' werden soll, aber die Geschichte schlägt eine andere Richtung ein. Jacobs letzte Predigt ist dann ein großartiger Höhepunkt dieses ersten Kapitels und könnte für sich schon das Ende einer netten kleinen Kurzgeschichte sein - aber King hat weitere Pläne für den Reverend. | Mit ''Revival'' zeigt King mal wieder eindrucksvoll was ihn von anderen Horror-Autoren abhebt: Nicht die Monster, die kriegen andere gruseliger hin. Nicht die Handlung, die ist oft genug halbwegs vorhersehbar oder verläuft sich in etwas unmotivierten Enden. Es sind die Charaktere, mit denen er seine fantastische Welt bevölkert und die schnell ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. Charles Jacobs ist ein solcher Charakter. Nach den ersten Seiten glaubt der Leser zu wissen wohin sich der gute Reverend entwickeln wird, doch der Charakter schlägt immer wieder Haken, taucht an unvorhergesehen Orten und in überraschenden Rollen auf. Und bleibt trotzdem überzeugend konsequent. Als autodidaktischer Tüftler, der ganz nebenbei über große physikalische Geheimnisse des Universums stolpert, erinnert er an eine menschenfreundlichere Version von naturwissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern à la Dr. Axel Stoll, die nüchterne Formeln mit düsterer Esoterik verbinden. Der Unterschied ist, dass Jacobs in Kings durchgedrehtem Universum natürlich richtig liegt und in seinem Bastelkeller tatsächlich mal so eben alle Gesetze der Physik über den Haufen wirft. Nach dem dramatischen Unfall war ich mir eigentlich sicher, wie die Story weiter gehen muss und wer hier ''revived'' werden soll, aber die Geschichte schlägt eine andere Richtung ein. Jacobs letzte Predigt ist dann ein großartiger Höhepunkt dieses ersten Kapitels und könnte für sich schon das Ende einer netten kleinen Kurzgeschichte sein - aber King hat weitere Pläne für den Reverend. | ||
− | Seine nächsten Inkarnationen als Jahrmarkt-Blitzkünstler und millionenschwerer Fernseh-Guru sind logische Fortsetzungen dieser genialen Ausgangslage. Jacobs hat alle Brücken zum bürgerlichen Leben abgebrochen und stürzt sich ganz in seine Arbeit. Dabei bleibt King immer gerade realistisch genug um mich - als elektrotechnischen Laien - bei der Stange zu halten. Besonders der ironische Kniff, dass der Wunderprediger Jacobs seine Bühne nutzt, um religiösen Fundamentalisten unter der Hand mit kalter, harter Wissenschaft zu heilen, gelingt perfekt. Eine witzige Umkehrung des ur-amerikanischen Schlangenöl-Händlers, der seinen esoterischen Humbug unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Fachbegriffen unters Volk bringt. Erst wenn King den Reverend gegen Ende ganz in die Rolle des gewissenlosen Superschurken drängt bricht der Charakter ein Stück weit. Waren es vorher nur vergleichsweise kleine Probleme mit Jacobs Motiven und Methoden - zum Beispiel die Frage, warum er sich darauf versteift die Menschen einzeln zu behandeln, statt seine fabelhafte freie Energiequelle zu Geld und der Menschheit zugänglich zu machen - ist diese Version jetzt so weit von dem kinderfreundlichen Sandburgenbauer vom Anfang entfernt, dass sie für mich nicht mehr wirklich funktioniert. Der geniale, vielschichtige Charakter wird hier auf den letzten Metern in eine Ecke geschoben, in die er nicht gehört. Immerhin hat er eine Statistik parat, die beweist, dass er trotz aller Nebenwirkungen einem ganzen Haufen Menschen geholfen hat. Heilung ohne | + | Seine nächsten Inkarnationen als Jahrmarkt-Blitzkünstler und millionenschwerer Fernseh-Guru sind logische Fortsetzungen dieser genialen Ausgangslage. Jacobs hat alle Brücken zum bürgerlichen Leben abgebrochen und stürzt sich ganz in seine Arbeit. Dabei bleibt King immer gerade realistisch genug um mich - als elektrotechnischen Laien - bei der Stange zu halten. Besonders der ironische Kniff, dass der Wunderprediger Jacobs seine Bühne nutzt, um religiösen Fundamentalisten unter der Hand mit kalter, harter Wissenschaft zu heilen, gelingt perfekt. Eine witzige Umkehrung des ur-amerikanischen Schlangenöl-Händlers, der seinen esoterischen Humbug unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Fachbegriffen unters Volk bringt. Erst wenn King den Reverend gegen Ende ganz in die Rolle des gewissenlosen Superschurken drängt bricht der Charakter ein Stück weit. Waren es vorher nur vergleichsweise kleine Probleme mit Jacobs Motiven und Methoden - zum Beispiel die Frage, warum er sich darauf versteift die Menschen einzeln zu behandeln, statt seine fabelhafte freie Energiequelle zu Geld und der Menschheit zugänglich zu machen - ist diese Version jetzt so weit von dem kinderfreundlichen Sandburgenbauer vom Anfang entfernt, dass sie für mich nicht mehr wirklich funktioniert. Der geniale, vielschichtige Charakter wird hier auf den letzten Metern in eine Ecke geschoben, in die er nicht gehört. Immerhin hat er eine Statistik parat, die beweist, dass er trotz aller Nebenwirkungen einem ganzen Haufen Menschen geholfen hat. Heilung ohne Restrisiko gibt es eben nicht. |
Während Jacobs eine Wandlung nach der anderen durchlebt, mäandert unsere Hauptfigur ein bisschen ziellos durch die Jahrzehnte. Jamies - zumindest für Musikerverhältnisse - wohl recht typisches, mäßig erfolgreiches Leben kann stellenweise ein bisschen langatmig werden, schafft es aber diese wahnsinnige Geschichte um den wandernden Prediger der Kirche der Geheimen Elektrizität zu erden. Außerdem kann uns King so verhältnismäßig früh mit den anfangs noch halbwegs realistischen Spätfolgen von Jacobs Elektro-Therapie bekannt machen. Leider steht dieser mühsam aufgebaute Realismus ziemlich im Weg, sobald die Story ihren Schlenker in Richtung Monsterhorror nimmt und namenlose Schrecken in die Welt einbrechen. Aus nachvollziehbaren Nebeneffekten einer elektrischen Gehirnbehandlung wie gelegentlichen Gedächtnislücken, Zwangshandlungen und Wahrnehmungsstörungen, werden Killerameisen und das bizarre Mutter-Ungeheuer. Spätestens hier schlägt der Zeiger von netter charaktergetriebener ''Science Fiction'' zu trashiger ''Science Fantasy'' und King darf mal wieder seinen technik-feidlichen Zeigefinger erheben: "Das passiert eben, wenn sich Menschen in wissenschaftliche Bereiche einmischen, die sie nichts angehen." | Während Jacobs eine Wandlung nach der anderen durchlebt, mäandert unsere Hauptfigur ein bisschen ziellos durch die Jahrzehnte. Jamies - zumindest für Musikerverhältnisse - wohl recht typisches, mäßig erfolgreiches Leben kann stellenweise ein bisschen langatmig werden, schafft es aber diese wahnsinnige Geschichte um den wandernden Prediger der Kirche der Geheimen Elektrizität zu erden. Außerdem kann uns King so verhältnismäßig früh mit den anfangs noch halbwegs realistischen Spätfolgen von Jacobs Elektro-Therapie bekannt machen. Leider steht dieser mühsam aufgebaute Realismus ziemlich im Weg, sobald die Story ihren Schlenker in Richtung Monsterhorror nimmt und namenlose Schrecken in die Welt einbrechen. Aus nachvollziehbaren Nebeneffekten einer elektrischen Gehirnbehandlung wie gelegentlichen Gedächtnislücken, Zwangshandlungen und Wahrnehmungsstörungen, werden Killerameisen und das bizarre Mutter-Ungeheuer. Spätestens hier schlägt der Zeiger von netter charaktergetriebener ''Science Fiction'' zu trashiger ''Science Fantasy'' und King darf mal wieder seinen technik-feidlichen Zeigefinger erheben: "Das passiert eben, wenn sich Menschen in wissenschaftliche Bereiche einmischen, die sie nichts angehen." | ||
− | Dass der Meister sich für sein großes Finale großzügig bei Lovecraft bedient ist dabei nicht das Problem. Im Gegenteil - als Fan von beiden Schriftstellern war ich gespannt, welche Elemente King sich hier abschauen würde. Leider hat er sich für die falschen entschieden. Lovecraft funktioniert für mich immer am besten als Meister der Andeutungen. Wenn er Expeditionen in außerirdische Städte oder Mathe-Studenten in andere Dimensionen schickt, aber gerade noch genug offen lässt, dass der Leser seine eigenen Schlüsse ziehen kann, finde ich das um einiges spannender als den Kampf gegen ein beliebiges Monster der Woche. Hier borgt sich King vor allem den Stil seines Horror-Kollegen und versetzt seine finale Schreckensvision unmotiviert in eine der Lovecraft-typischen zyklopischen Ruinenstädte. Dann begeht er auch noch den alten Fehler, sein unmissverständlich an die Großen Alten angelehntes Mega-Monster Mutter zu besiegbar zu machen. Lovecraft selbst stolperte in diese Falle, wenn er seine Vorzeigegottheit in ''Call of Cthulhu'' mit einem Schiff rammt und Schachmatt setzt. Echter kosmischer Horror kann nur funktionieren, wenn die Menschen wirklich keine Chance gegen die außerirdischen Mächte | + | Dass der Meister sich für sein großes Finale großzügig bei Lovecraft bedient ist dabei nicht das Problem. Im Gegenteil - als Fan von beiden Schriftstellern war ich gespannt, welche Elemente King sich hier abschauen würde. Leider hat er sich für die falschen entschieden. Lovecraft funktioniert für mich immer am besten als Meister der Andeutungen. Wenn er Expeditionen in außerirdische Städte oder Mathe-Studenten in andere Dimensionen schickt, aber gerade noch genug offen lässt, dass der Leser seine eigenen Schlüsse ziehen kann, finde ich das um einiges spannender als den Kampf gegen ein beliebiges Monster der Woche. Hier borgt sich King vor allem den Stil seines Horror-Kollegen und versetzt seine finale Schreckensvision unmotiviert in eine der Lovecraft-typischen zyklopischen Ruinenstädte. Dann begeht er auch noch den alten Fehler, sein unmissverständlich an die Großen Alten angelehntes Mega-Monster Mutter zu besiegbar zu machen. Lovecraft selbst stolperte in diese Falle, wenn er seine Vorzeigegottheit in ''Call of Cthulhu'' mit einem Schiff rammt und Schachmatt setzt. Echter kosmischer Horror kann nur funktionieren, wenn die Menschen wirklich keine Chance gegen die außerirdischen Mächte haben. |
Daneben habe ich noch ein tiefergehendes Problem mit dem Ende und Kings Entscheidung, uns einen Blick ins Jenseits seiner Figuren werfen zulassen. Leben und Tod sind derart wichtige Konstanten in nahezu allen Geschichten, dass ich immer ein Problem mit leichtfertigen Antworten auf diese großen Fragen habe. Hier wird das eng verwobene Netz des King-Universums zum Problem: ''Revival'' steckt wieder mal randvoll mit Verweisen und Anspielungen auf andere Werke. Die Welt der Mutter wirkt abgekapselt genug von Jamies Realität um eine kosmische Konstante jenseits des Multiversums zu bilden. Da drängt sich die Frage auf, ob Mutter auch auf andere Tote aus dem King-Kosmos wartet. So manche tragische Sterbeszene bekommt einen bitteren Beigeschmack mit der Vorstellung, dass der Verstorbene sich jetzt in Mutters Ameisen-Reigen einreiht. | Daneben habe ich noch ein tiefergehendes Problem mit dem Ende und Kings Entscheidung, uns einen Blick ins Jenseits seiner Figuren werfen zulassen. Leben und Tod sind derart wichtige Konstanten in nahezu allen Geschichten, dass ich immer ein Problem mit leichtfertigen Antworten auf diese großen Fragen habe. Hier wird das eng verwobene Netz des King-Universums zum Problem: ''Revival'' steckt wieder mal randvoll mit Verweisen und Anspielungen auf andere Werke. Die Welt der Mutter wirkt abgekapselt genug von Jamies Realität um eine kosmische Konstante jenseits des Multiversums zu bilden. Da drängt sich die Frage auf, ob Mutter auch auf andere Tote aus dem King-Kosmos wartet. So manche tragische Sterbeszene bekommt einen bitteren Beigeschmack mit der Vorstellung, dass der Verstorbene sich jetzt in Mutters Ameisen-Reigen einreiht. |
Aktuelle Version vom 26. Oktober 2018, 10:12 Uhr
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Inhaltsverzeichnis
Andreas (4 / 5)
Stephen King, der Autor von Revival, hat behauptet, dass er ein sehr dunkles Stück Literatur verfasst habe. Dass er am liebsten gar nicht mehr darüber nachdenken möchte, so schreckenserregend sei das Ergebnis seiner Arbeit. Stimmt das? Hat er wirklich ein Buch voller Grauen und Terror verfasst? Schauen wir doch mal.
Revival lebt vor allem durch seine zwei Hauptdarsteller. Jamie Morton, der musikalisch einigermaßen begabte Junge, und Charles Jacobs. Die beiden begegnen sich in Harlow, einem kleinen Ort in Maine Mitte der 60er Jahre das erste Mal. Für beide ist dieser Ort der Auslöser ihres Lebensweges. Jamie, der hier zum ersten Mal eine Gitarre und einen Joint (nicht zur gleichen Zeit) in die Hand nimmt. Jacobs, der seine Familie verliert, dadurch aber den Antrieb zum Erstreben des göttlichen Wissens gewinnt.
Immer wieder kreuzen sich die Lebenswege der Beiden und es erscheint fast ein wenig fragwürdig. Ist soviel Zufall möglich? Haben die knapp drei Jahre ein so enges Band zwischen jungem Pastor und einem Jungen geknüpft? Überhaupt wirkt Revival wie eine Hommage an die klassische Horrorgarde. Jacobs Suche nach dem Blick in das Leben nach dem Tod ist eine so deutliche Hommage an H.P. Lovecraft, dass King seinen Namen auch nennt. Jacobs wird immer mehr zu Dr. Frankenstein, dass es nicht überrascht, dass er am Ende fast genauso allein ist. Die Verwendung von Elektrizität - und speziell von Blitzen - tut ihr Übriges zu der Hommage an Mary Shelley und der Hommage an die Verfilmungen des Kultklassikers. Auch Bram Stoker ist mit dabei, denn Jamie Mortons Aufzeichnungen - er ist Ich-Erzähler des Romans - wirken wie ein Tagebuch in dem er sie Geschehnisse zu verarbeiten versucht.
Dennoch ist Kings Werk alleinstehend. Zwar bedient er sich an klassischen Horrorelementen, aber sie sind nur Beilage, nicht die Basis für Revival. Die große Befürchtung, King würde sich in einer Geschichte über mehrere Jahrzehnte verlieren, hat sich nicht bestätigt. Er begrenzt die Anzahl der wichtigen Charaktere und hat so den nötigen Raum, sie in seiner gewohnten Art zu entfalten und sie uns näher zu bringen. Da Jamie Morton der Erzähler ist, scheint es nicht zu überraschen, dass die Sympathien sofort bei ihm sind. Wir erleben seinen Wandel vom unschuldigen Jungen, zum jugendlichen Musiker, über seinen Tiefpunkt als Heroinjunkie bis hin zum Ende der Geschichte. Es sind interessante Wandlungen, die King ihm zumutet, allen voran die zu dem Charakter, dem wir die Heldenrolle zutrauen. Ich bin bei ihm, aber es gab auch schon Helden, die ihre Aufgabe nachvollziehbarer bekommen haben.
Auf der anderen Seite Charles Jacobs. Der schillernde Ritter Gottes, der zum durchgeknallten narzistischen und vor allem eiskalten Professor mutiert. Genauso wie Morton zum Held wird, bekommt Der ehemalige Pfarrer die Rolle des Bösewichts. Doch im Gegensatz zu den verrückten Medizinern in den Geschichten von Lovecraft gibt King ihm einen Antrieb mit, er sein Handeln einigermaßen verständlich macht. Fast so, als würde der Autor ihm eine Absolution für seine Experimente erteilen.
Zwei nachvollziehbare Helden, Elemente aus der Horrorliteratur, die schon lange vergessen ist. Wo ist da die Grausamkeit? In unseren Köpfen vor allen Dingen. King baut hier nicht nur einen normalen Spannungsbogen auf. Vor allem ab dem Überwinden von Jamie Mortons Tiefpunkt streut er erst leicht, aber dann mit zunehmend höherer Intensität Elemente ein, die einen stutzig werden lassen, die einen zweifeln lassen, dass Jacobs' Experimente und Jacobs' Apparate wirklich so ungefährlich sind, wie der freundliche Ex-Geistliche es uns weiß machen will. Dazu kommt für mich ganz eigener Grusel, als King sehr lebhaft den öffentlichen Auftritt des geistlichen Wunderheilers beschreibt. Wie er erzählt, wie viel Geld ein Scharlatan mit seinen Taten von den Kranken und Bedürftigen einnimmt. Etwas, was Gang und gebe ist und für mich an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Aber das alles dürfte King noch keine Alpträume verursacht haben. Höchstens die Ideenfindung, was auf Jacobs und Morton am Ende warten könnte. Das Finale - Lovecraft wäre stolz - ist auch der Höhepunkt des Grauens. Natürlich. In meinen Augen funktioniert es großartig und ja, es ist grausam. Allerdings nur, wenn man sich auf die vorhergehenden Teile der Geschichte auch einlassen konnte. Es braucht einen Schuss der eigenen Phantasie um das zu begreifen, was King uns vorstellt, aber überwindet man diese Hürde fühlt es sich verdammt gut an.
Kein Licht ohne Schatten. Nicht alles war perfekt. Die Geschichte wirkt an einigen Geschichten unnötig in die Länge gezogen, während manche Situationen einfach so eingestreut werden. Ein Beispiel? King beschreibt, wie Jamies Vater und sein Bruder einen Rennwagen in der Garage zusammensetzen. Dieser - mit der 19 beschriftet - hat in meinen Augen keinerlei Bewandnis für die Handlung. Schlimmer noch, er wird in der ersten Kurve seines ersten Rennens zu Schrott gefahren. Jahrzehnte später sprechen Jamie und Terry erneut über den Wagen, aber auch hier gibt es in meinen Augen keine Symbolik für Jamies oder Terries Situation. Warum also Platz eines nicht gerade episch langen Romans verschwenden, während mit Astrid Soderberg ein Charakter auf erklärliche Art und Weise aus der Handlung kommt nur um es sich scheinbar anders zu überlegen. Überhaupt ist das Druckmittel Jacobs' zur Vorbereitung des Finales in meinen Augen nur schwer nachvollziehbar. Man muss es wohl King zu Gute halten, dass Tabitha wahrscheinlich seine erste und einzige große Liebe war. Die Anzahl derer, die ihr Leben für die Jugendliebe aufs Spiel setzen, dürfte sich aber in Grenzen halten. Oder es ist meine unromantische Ader, die hier durchschlägt.
Mein Fazit fällt allerdings durchweg positiv aus. Es ist eine klasse Geschichte, vor allem aber nicht nur für Fans der klassischen Horrorliteratur. Revival präsentiert den Umgang mit Leid und Verlust auf faszinierende Art und Weise. Nicht aber, ohne das zu vergessen, was wir erwarten durften: Das Grauen, dass einen noch dann bewegt, wenn das Buch zugeklappt wurde.
Croaton (5 / 5)
Na es geht doch! 5 Jahre nach dem letzten Roman Kings, den ich mit 5 Punkten bewerten durfte (Under the Dome), schafft der Meister es endlich einmal wieder, mich zur Höchstwertung hinzureißen! Dabei hat er mit seiner Vorab-Werbung für das Buch Erwartungen geschürt (siehe auch obige Rezension), die er für mich nicht erfüllt hat. Aber nun ja, diese Taktik hat einst schon bei Friedhof der Kuscheltiere funktioniert ... wo sie berechtigter war.
Ja, der für Kingsche Verhältnisse kurze Roman hat seine überflüssig wirkenden Passagen, hat mich jedoch in keiner Sekunde gelangweilt, da es King immer wieder rechtzeitig gelingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, außerdem hatte er mich nach den sehr fesselnden ersten Kapiteln, die in Jamies Kindheit spielen, sowieso unwiderruflich am Haken. Ich mag Geschichten um Wunderheilungen und verrückte Wissenschaftler à la Frankenstein, dann noch die vielen unvergesslichen Einfälle, was die Nachwirkungen der Heilungen betrifft - da beschwört King wie in besten Zeiten Bilder herauf, die irgendetwas Dunkles im Leser ansprechen und ihn in eine Welt ziehen, die man niemals kennenlernen möchte, von der man aber unbedingt mehr lesen will. Ein Widerspruch, wie vielleicht nur King ihn kreieren kann.
Gegen Ende hatte ich zunehmend Angst, der Autor würde sich beim Showdown in jenem Lovecraftschen Kauderwelsch verlieren, das die Kurzgeschichten Crouch End und Omi für mich ruiniert hat, doch da hat er es glücklicherweise bei Andeutungen belassen. Gut, denn so konnte ich mich voll und ganz auf die Vision einlassen ... Die wird wieder einmal die Gemüter scheiden, denn ganz ähnlich wie beim Makroversum (aus ES) oder den Visionen anderer Welten in Der Buick oder Das Schwarze Haus geht hier dermaßen die Phantasie mit King durch, dass viele das Buch kopfschüttelnd in die Ecke pfeffern, andere mit blassen Fingern den Buchrücken umklammern werden. Glücklicherweise gehöre ich zu letzteren - und wenn das Wort Mutter schon seit Psycho vorbelastet ist, so steht es nun endgültig für das Grauen schlechthin. Was ein Glück, dass ich bei wahren Familienmitgliedern abstrahieren kann!^^
Es gibt ein Problem: Es geht zum Ende hin nicht mehr düsterer, King bietet nirgends auch nur den kleinsten Hoffnungsschimmer für Jamie oder auch nur den Leser. Das ist mutig, aber auch ordentlich deprimierend. Einen Punktabzug gibt es deswegen nicht, weil der Roman einmal mehr das geschafft hat, was mich ursprünglich zu einem treuen King-Fan gemacht hat: Ich werde fortan wieder Bilder in meinem Kopf mit mir tragen, die nur er dort einpflanzen kann und die mich in den verschiedensten Lebenslagen begleiten werden. Oder heimsuchen!
Fazit: Purer, blanker, unaussprechlicher Horror? Nein, oder wenn, dann "nur" am Ende. Bis dahin ist es eine faszinierende Geschichte rund um die dunklen Seiten der Religion, um Hoffnungen und menschliche Abgründe. Genial!
stoppoker (4,75/5)
Ersteinmal zum Inhalt :
Charlie Jacobs ist Pfarrer, einer der mit Begeisterung bastelt und experimentiert, hauptsächlich um Geld zu sparen, so baut er sich etwa eine Fernsehantenne die einen besseren Empfang bringt. Er hat eine wunderhübsche Frau und einen niedlichen kleinen Sohn, als die beiden bei einem Unfall ums Leben kommen, hält er in der Kirche eine gotteslästerliche Predigt woraufhin ihn die Gemeindeversammlung entlässt, er verlässt seinen Wohnort und kehrt nie mehr zurück. Nur etwas bleibt übrig aus dieser Zeit, ein unsichtbares Band zwischen ihm und dem Nachbarsjungen Jamie Morton, das jahrzehntelang bestehen bleiben wird und die beiden immer wieder (wie zwei Billardkugeln) zusammen führen wird.
Jamie mag den Reverend von Anfang an, an diese Verbindung erinnert er sich als er Jahre später auf einem Jahrmarkt Jacobs wiedersieht.
Jamie ist abhängig, finanziell aber noch viel schlimmer „stofflich“ er steht vor der Entscheidung noch weiter abzurutschen oder sich Jacobs anzuvertrauen, er entscheidet sich für letzteres. Wenn er ersteres gewählt hätte, hätte es das was ihm auch so unweigerlich letzlich bevorsteht nur vorweggenommen (eine Andeutung https://de.wikipedia.org/wiki/Nihilismus).
Jacobs befreit ihn also von dem „stofflichen“ Monster das ihn zerstört hätte und sorgt ausserdem dafür er einen Job bekommt, den er sehr lange ausübt. Jamie ist Musiker, genauer gesagt Rock and Roll Musiker, er spielt annehmbar Gitarre in etlichen Bands und in etlichen Jahren und verdient damit sehr lange seine Brötchen.
Jacobs ist vom Pfarrer zum Schausteller mutiert und belustigt die Leute mit einer Mischung aus purem Blendwerk und einer Show die hauptsächlich mit Strom zu tun hat, seinem ursprünglich nur als Hobby gedachten Beschäftigung (die Stromanwendung wird verheerender enden als alle Beteiligten sich zunächst bewusst sind).
In seinem neuen Job ist Jamie tätig in einem Aufnahmestudio, manchmal hilft er aus wenn ein Gitarrist krank ist und landet so mit seinem Gitarrenspiel auf einigen Alben, viele davon grauenhaft schlechte. Ein paar wenige Auftritte nebenher als Musiker/Gastmusiker bei einigen Bands.
Der Eigentümer des Aufnahmestudios (Jacobs hat ihn damals auch „geheilt“) und Jamie unterhalten sich über Jacobs und kommen zu dem Schluss dass sie dem Geheimnis Jacobs und seines geheimen Stroms auf die Spur kommen müssen, da Jacobs' Strom Nebenwirkungen/Nachwirkungen hat die mit der Zeit immer schwerer wiegen.
Jacobs ist inzwischen ein Millionenseller, er hat die kleine Jahrmarktsshow umgestellt auf die ganz große Nummer, er läuft landesweit im Fernsehen als TV-Prediger und tourt mit seiner Revival-show (>Wiederbelebung) durch das ganze Land. Die Show bringt ihn dahin zurück wo er herkommt, zur Religion.
Nur mit dem Unterschied das er jetzt an den religiösen Budenzauber nicht einen Pfifferling mehr glaubt, seitdem seine Frau und sein Sohn gestorben sind tut er das schon nicht mehr. Jetzt aber ist Religion Big Business!
Er „heilt“ auf seiner Tour Schwerkranke die zu seiner Show kommen und Geld „spenden“, damit die „göttliche“ Heilung anhalten möge, manches davon sind Taschenspielertricks, aber wie der geneigte Leser später sehen wird bei weitem nicht alle (Stichwort Nebenwirkungen/Nachwirkungen).
Nachdem Jamie und der Studioeigentümer in einer von Jacobs' Show waren, sind sie vollkommen davon überzeugt das Jacobs aufgehalten werden muss, das sein Tun gefährlich und unabsehbare Folgen hat, die der Studioeigentümer in der Show am eigenen Leib spürt. Die Selbsttötungen/Morde der „Geheilten“ häufen sich.
Jamie sucht Jacobs auf um ihm zu sagen das er damit aufhören müsse. Jacobs sagt ihm das habe er bereits, er wird nie wieder eine Revival-Show geben, als Schlussakt seiner Stromexperimente müsse er aber noch ein letztes Experiment durchführen. Jamie lehnt vehement ab damit noch etwas zu tun zu haben, verlässt wutentbrannt Jacobs' Haus, aber Jacobs hat Jamie bereits im Schraubstock gefangen und lässt ihn nicht mehr los. Schließlich willigt Jamie ein, was bleibt ihm anderes übrig.
Der Schlussakt möge hier natürlich nicht verraten werden, nur soviel, es wird alle Beteiligten an die Grenzen des Lebens und darüber hinaus führen.
Zur Bewertung/Einordnung :
Stephen King führt hier eine seiner allergrößten Shows auf, es ist im Kern eine gigantische Remineszenz an Howard Phillips Lovecraft (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=H._P._Lovecraft&redirect=no) und Mary Shelley (https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Shelley) (hauptsächlich an diese beiden), manch einer möge sagen, das sich der Gigant King dieser Übergiganten einfach nur bedient, das mag stimmen, aber er tut das so geschickt und fintenreich, das man bis zum allerletzten Schlussakt nicht dahinterkommt was eigentlich das Ziel dieser ganzen Reise sein soll, aber ohne das es auch nur eine einzige Sekunde langweilig wird. Das gilt insbesondere übrigens wenn man nicht H.P. Lovecraft kennt!
Wie bei vielen Romanen von ihm hat er auch hier eine leicht ansteigende Spannungskurve angelegt die aber konsequent und unerbittlich angewendet.
Fast verwundert mögen sich einige erfahrene Leser die Augen reiben, aber wer dieses Buch gelesen hat glaubt kaum das dies ein christlich geprägter Schriftsteller ist. King ist noch nie zimperlich mit der eigenen Religion (>Verblendung; Fanatismus) umgesprungen, „Carrie“, „Brennen muss Salem“ und „Friedhof der Kuscheltiere“ mögen dies als Kronzeugen aussagen und ebenfalls etliche Kurzgeschichten die das teilweise zum Inhalt haben.
Aber wie er hier die Maske des selbsternannten Predigers runterreisst, ist einmalig, so konsequent hat er dies noch nie getan.
Einige in ihrem Glauben gefestigte Leser geraten hier höchstwahrscheinlich ins Wanken, auch wenn er immer noch eine winzige Hintertür offen lässt (ooh, ein Insider, konnt ich mir nicht verkneifen!)
Die Story ist so perfekt ineinander verwoben und verschränkt, hier fügt sich einfach jedes Stück zu einem perfekt sitzenden Gegenstück ineinander.
Nun, kommen wir zum leidigen Thema der Bewertung des Buches in Punkten ausgedrückt, es ist nie leicht ein Buch auf einer Punkteskala abzutragen, hier scheint es mir aber unmöglich.
Dieses Buch ist so wahnsinnig, im wahrsten Sinne der Bedeutung, das ich versucht bin so gigantische Werke wie
„Carrie“
„Brennen muss Salem“
„Shining“
„The Stand“
„Der dunkle Turm“
„ESSSS“ (noch ein Insider *grins*)
„Der Talisman“
„Der Sturm des Jahrhunderts“
„Das schwarze Haus“
„The green Mile“
„Love“
„Die Arena“
„Der Anschlag“
„Doctor Sleep“
die auf dem 10 v. 10 Punkte-Thron sitzen zur Seite zu schieben und Platz zu machen für dieses Buch!
Aber kann ich das wirklich?
In letzter Konsequenz wohl nicht, deshalb gebe ich, schweren Herzens, diesem Buch 9.5 von 10 Punkten.
Lange Tage und angenehme Nächte, Sais!
Diese Rezension ist auch einzusehen in meinem Blog https://stephensshining.wordpress.com/2015/03/17/rezension-zum-roman-revival/
Vermis (5 / 5)
Es ist schwierig eine Bewertung zum absoluten Lieblingsbuch zu verfassen. Ich befürchte zwar, nicht alle meine Gedanken zu Revival hier aufzeigen zu können, aber ich wage mich einfach mal dran. Also:
In den letzten Jahren kommt es mir so vor, als würde Stephen King zu seinen Anfängen zurückkehren. Erst schreibt er einen weiteren Dunkler-Turm-Band, dann schreibt er sein früheres Werk Shining weiter, auch wenn man die Entwicklung von Kings Schreibstil und Herangehensweise an die Geschichten spürt. Mit Revival hat er für mich eine andere Version von Friedhof der Kuscheltiere geschrieben, was ich jedoch nicht negativ meine.
Der Friedhof der Kuscheltiere war ein düsteres Werk über den Tod, den King am Anfang seiner Karriere schrieb. Revival ist ebenfalls ein düsterer Roman über den Tod (in der spät Phase von King), in dem jedoch viele weitere Themen behandelt werden. Es geht um den Umgang mit Todesfällen (Jamie Mortons Geschwister und Eltern, Jacobs Frau), um die Musik, welche eine große Rolle in Jamies Leben spielt. Und über die Religion, mit ihren guten und schlechten Seiten. Gerade der Wandel von Charles Jacobs ist fesselnd. Wie er seinen Glauben verliert und eine religiöse Schau abzieht, um seine unheilvollen Tätigkeiten zu verwirklichen.
King zeigt die Geschichte aus Jamies Sicht, ein eigentlich normaler Mensch mit Problemen, der durch die zufälligen (oder doch schicksalhaften) Zusammentreffen mit Jacobs immer mehr mit in das Grauen gezogen wird, das alle Menschen beschäftigt: Das Leben nach dem Tod. King zeigt im Lovecraftschen Finale eine wahre Schreckensvision. Jamies gesamtes Leben, und das Leben an sich, wird durch diese Vision zu einem Witz. Menschenleben sind unwichtig und nutzlos, wenn man einmal jener größeren Zusammenhänge gesehen hat. Ich empfinde das Ende wirklich als das größte und furchteinflössende, das King je schrieb, gerade wegen dieser Auswegslosigkeit.
Horror Fans erwarten wohl nur Blut und Totschlag, so etwas plumpes findet sich in Revival jedoch nicht. Das Buch konzentriert sich auf die Schrecken, die lange im Gedächtnis bleiben: Das älter werden, das unvermeidliche Ende, und schicksalhafte Ereignisse, die das ganze Leben verändern.
Die religiöse Seite des Buches ist mehr als gelungen, und zeigt den Fanatismus, dem so einige Leute erliegen. Im Vergleich mit Werken wie Desperation oder The Stand, wo Gott und der Glaube verherrlicht wird, ist Revival mit seiner Bitterbösen Sicht der Dinge weitaus leichter zu verdauen. Selbst wenn man, wie ich, kein bisschen religiös ist, schockiert der Verlust des Glaubens, den der Reverend erleidet.
Einziger kleiner Kritikpunkt: Das Buch ist etwas zu kurz. Von Jamies Leben sehen wir im Grunde nur die Zusammentreffen mit Jacobs. Doch gerade durch die Kürze und die klare Handlung, welche geschwätzige Nebenhandlungen gar nicht erst zu lässt, ist das Buch reizvoll.
Fazit: Revival ist Kings Alters-Meisterwerk, in dem er seine eigenen Ängste über das unvermeidliche niederschreibt. Ein beängstigender Blick auf das, was auf uns wartet. Ich hoffe jedoch, genau wie Jamie, das auch die Schreckliche Welt ebenfalls eine Illusion war. Denn niemand sollte solche Grauen sehen müssen - und niemand sollte je die Mutter erblicken müssen.
Horaz Klotz (3 / 5)
Mit Revival zeigt King mal wieder eindrucksvoll was ihn von anderen Horror-Autoren abhebt: Nicht die Monster, die kriegen andere gruseliger hin. Nicht die Handlung, die ist oft genug halbwegs vorhersehbar oder verläuft sich in etwas unmotivierten Enden. Es sind die Charaktere, mit denen er seine fantastische Welt bevölkert und die schnell ein faszinierendes Eigenleben entwickeln. Charles Jacobs ist ein solcher Charakter. Nach den ersten Seiten glaubt der Leser zu wissen wohin sich der gute Reverend entwickeln wird, doch der Charakter schlägt immer wieder Haken, taucht an unvorhergesehen Orten und in überraschenden Rollen auf. Und bleibt trotzdem überzeugend konsequent. Als autodidaktischer Tüftler, der ganz nebenbei über große physikalische Geheimnisse des Universums stolpert, erinnert er an eine menschenfreundlichere Version von naturwissenschaftlichen Verschwörungstheoretikern à la Dr. Axel Stoll, die nüchterne Formeln mit düsterer Esoterik verbinden. Der Unterschied ist, dass Jacobs in Kings durchgedrehtem Universum natürlich richtig liegt und in seinem Bastelkeller tatsächlich mal so eben alle Gesetze der Physik über den Haufen wirft. Nach dem dramatischen Unfall war ich mir eigentlich sicher, wie die Story weiter gehen muss und wer hier revived werden soll, aber die Geschichte schlägt eine andere Richtung ein. Jacobs letzte Predigt ist dann ein großartiger Höhepunkt dieses ersten Kapitels und könnte für sich schon das Ende einer netten kleinen Kurzgeschichte sein - aber King hat weitere Pläne für den Reverend.
Seine nächsten Inkarnationen als Jahrmarkt-Blitzkünstler und millionenschwerer Fernseh-Guru sind logische Fortsetzungen dieser genialen Ausgangslage. Jacobs hat alle Brücken zum bürgerlichen Leben abgebrochen und stürzt sich ganz in seine Arbeit. Dabei bleibt King immer gerade realistisch genug um mich - als elektrotechnischen Laien - bei der Stange zu halten. Besonders der ironische Kniff, dass der Wunderprediger Jacobs seine Bühne nutzt, um religiösen Fundamentalisten unter der Hand mit kalter, harter Wissenschaft zu heilen, gelingt perfekt. Eine witzige Umkehrung des ur-amerikanischen Schlangenöl-Händlers, der seinen esoterischen Humbug unter dem Deckmantel von wissenschaftlichen Fachbegriffen unters Volk bringt. Erst wenn King den Reverend gegen Ende ganz in die Rolle des gewissenlosen Superschurken drängt bricht der Charakter ein Stück weit. Waren es vorher nur vergleichsweise kleine Probleme mit Jacobs Motiven und Methoden - zum Beispiel die Frage, warum er sich darauf versteift die Menschen einzeln zu behandeln, statt seine fabelhafte freie Energiequelle zu Geld und der Menschheit zugänglich zu machen - ist diese Version jetzt so weit von dem kinderfreundlichen Sandburgenbauer vom Anfang entfernt, dass sie für mich nicht mehr wirklich funktioniert. Der geniale, vielschichtige Charakter wird hier auf den letzten Metern in eine Ecke geschoben, in die er nicht gehört. Immerhin hat er eine Statistik parat, die beweist, dass er trotz aller Nebenwirkungen einem ganzen Haufen Menschen geholfen hat. Heilung ohne Restrisiko gibt es eben nicht.
Während Jacobs eine Wandlung nach der anderen durchlebt, mäandert unsere Hauptfigur ein bisschen ziellos durch die Jahrzehnte. Jamies - zumindest für Musikerverhältnisse - wohl recht typisches, mäßig erfolgreiches Leben kann stellenweise ein bisschen langatmig werden, schafft es aber diese wahnsinnige Geschichte um den wandernden Prediger der Kirche der Geheimen Elektrizität zu erden. Außerdem kann uns King so verhältnismäßig früh mit den anfangs noch halbwegs realistischen Spätfolgen von Jacobs Elektro-Therapie bekannt machen. Leider steht dieser mühsam aufgebaute Realismus ziemlich im Weg, sobald die Story ihren Schlenker in Richtung Monsterhorror nimmt und namenlose Schrecken in die Welt einbrechen. Aus nachvollziehbaren Nebeneffekten einer elektrischen Gehirnbehandlung wie gelegentlichen Gedächtnislücken, Zwangshandlungen und Wahrnehmungsstörungen, werden Killerameisen und das bizarre Mutter-Ungeheuer. Spätestens hier schlägt der Zeiger von netter charaktergetriebener Science Fiction zu trashiger Science Fantasy und King darf mal wieder seinen technik-feidlichen Zeigefinger erheben: "Das passiert eben, wenn sich Menschen in wissenschaftliche Bereiche einmischen, die sie nichts angehen."
Dass der Meister sich für sein großes Finale großzügig bei Lovecraft bedient ist dabei nicht das Problem. Im Gegenteil - als Fan von beiden Schriftstellern war ich gespannt, welche Elemente King sich hier abschauen würde. Leider hat er sich für die falschen entschieden. Lovecraft funktioniert für mich immer am besten als Meister der Andeutungen. Wenn er Expeditionen in außerirdische Städte oder Mathe-Studenten in andere Dimensionen schickt, aber gerade noch genug offen lässt, dass der Leser seine eigenen Schlüsse ziehen kann, finde ich das um einiges spannender als den Kampf gegen ein beliebiges Monster der Woche. Hier borgt sich King vor allem den Stil seines Horror-Kollegen und versetzt seine finale Schreckensvision unmotiviert in eine der Lovecraft-typischen zyklopischen Ruinenstädte. Dann begeht er auch noch den alten Fehler, sein unmissverständlich an die Großen Alten angelehntes Mega-Monster Mutter zu besiegbar zu machen. Lovecraft selbst stolperte in diese Falle, wenn er seine Vorzeigegottheit in Call of Cthulhu mit einem Schiff rammt und Schachmatt setzt. Echter kosmischer Horror kann nur funktionieren, wenn die Menschen wirklich keine Chance gegen die außerirdischen Mächte haben.
Daneben habe ich noch ein tiefergehendes Problem mit dem Ende und Kings Entscheidung, uns einen Blick ins Jenseits seiner Figuren werfen zulassen. Leben und Tod sind derart wichtige Konstanten in nahezu allen Geschichten, dass ich immer ein Problem mit leichtfertigen Antworten auf diese großen Fragen habe. Hier wird das eng verwobene Netz des King-Universums zum Problem: Revival steckt wieder mal randvoll mit Verweisen und Anspielungen auf andere Werke. Die Welt der Mutter wirkt abgekapselt genug von Jamies Realität um eine kosmische Konstante jenseits des Multiversums zu bilden. Da drängt sich die Frage auf, ob Mutter auch auf andere Tote aus dem King-Kosmos wartet. So manche tragische Sterbeszene bekommt einen bitteren Beigeschmack mit der Vorstellung, dass der Verstorbene sich jetzt in Mutters Ameisen-Reigen einreiht.
Fazit: Ein nett ausgetüfteltes Science Fiction-Konzept um einen genial wandelbaren Charakter, das zu schade ist für das überbordende Monster-Fantasy-Finale.
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