Herman Wouk lebt noch: Rezension: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 17. Dezember 2015, 14:19 Uhr
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Inhaltsverzeichnis
Croaton (5 / 5)
Stephen Kings Kurzgeschichte Herman Wouk lebt noch habe ich am Stück zweimal hintereinander gelesen, so sehr hat mich ihr Schluss schockiert und so dringend war mein Bedürfnis, noch einmal zurückzugehen und nachzuvollziehen, was die Protagonistin Brenda zu ihrer Verzweiflungstat trieb.
Und erst wenn man weiß, worauf diese literarische Perle hinausläuft, kann man sie in ihrer ganzen Genialität schätzen. Wenn King den Gegensatz zwischen tristem Alltag (Brenda und ihre Freundin Jasmine) und den von allen irdischen Problemen losgelösten Poeten Phil und Pauline skizziert, kann man den Pinselstrich nur als meisterlich bezeichnen. Die Namen der insgesamt sieben (!) Kinder der beiden Freundinnen reflektieren ihre Desillusionierung (siehe etwa Freddy); ihrer beider Leben ist so verkorkst, dass selbst die Tatsache, dass Jasmine von ihrem eigenen Vater im Alter von 15 Jahren vergewaltigt wurde, zu einer Fußnote verkommt.
Die Szenen im Auto während der Spritztour der beiden Frauen muss man einfach zweimal lesen. Obwohl sie sich über ihren Ausflug freuen möchten, gerät ihr Gespräch zu einer Spirale der Verzweiflung, an deren Ende die Hoffnungslosigkeit steht. Wie düster sich für Brenda die Zukunft abzeichnet wird klar, wenn sie die gerade einmal sechs Monate alte Delight schon zur Schlampe heranwachsen sieht und davon ausgeht, dass alle Jungen im Auto später einmal als Soldaten in sinnlosen Kriegen fallen werden.
Und dann der Moment der Wahrheit, der zu einer ausweglosen Kettenreaktion führt: Jasmine bietet der Fahrerin Brenda Alkohol an. Sie willigt ein – und nun fallen die Dominosteine. Brenda fragt, wie schnell das Auto wohl fahren kann. Jasmine antwortet: "Finden wir's raus." Brenda beschleunigt. Die beiden Frauen nicken sich zu. Jasmine hebt ihr jüngstes Kind von ihrem Schoß und presst es sich an die Brust. Brenda fährt mit Vollgas gegen einen Baum.
Doch mit dieser furchtbaren Tat nicht genug: Nun kommen Phil und Pauline zur Unfallstelle und sehen das Ausmaß der Katastrophe, die ihr Weltbild zerbrechen lässt. Phil kauert am Ende verzweifelt inmitten der Leichenteile, Pauline fühlt sich von jeder Poesie verlassen, die in einer Welt, in der so etwas passieren kann, einfach nichts verloren zu haben scheint.
Erst im Nachhinein wird klar, dass das grausige Ende für beide Frauen schon früh – zumindest unterbewusst – feststand. Brenda schimpft sich anfangs selbst für die hohen Ausgaben für den Leihwagen … Sieht sie ihren Ausflug aber bereits als Trip ohne Rückfahrtsschein? Kaum hat Jasmine sich dazu entschlossen mitzufahren, als sie schon vorschlägt, eine gute Flasche Brandy mitzunehmen …
Fazit: Kings Blick in die Psyche zweier vom Leben vergessener Frauen, die sich und ihren Kindern künftiges Elend ersparen wollen und dazu zum Äußersten bereit sind, gehört mit Sicherheit zum Trostlosesten, was er je verfasst hat. Aber die nur 6.300 Wörter, die wie eine einzige gewaltige Ohrfeige daherkommen, haben genau das mit mir gemacht, was eine gute Geschichte schaffen soll: Sie haben mich noch tagelang beschäftigt und aufgewühlt. Volle 5 Punkte für die schiere Wucht der freigesetzten Emotionen.
Wörterschmied (1 / 5)
Ähnlich wie bei Premium Harmony entführt King uns in einen Tagesausflug von zwei Personen, der plötzlich mit dem Tod endet. Der Tod von Brenda und Jasmine ist dramatisch dargestellt und lässt den Leser kurz zusammenfahren. Dennoch genau der gleiche Fehler wie bei Premium Harmony: Die Charaktere sind einfach nicht sympathisch genug, als dass man viel Mitleid aufbauen könnte.
Dass King durchaus die Leidensgeschichte einer Frau erzählen kann, zeigt er in Dolores. Hier stellt er die Protagonistin Dolores Claiborne allerdings als starke Frau dar, weshalb man sich wünscht, dass ihr ein gutes Ende widerfährt. Brenda und Jasmine sind Heulsusen, die ihre Probleme mit sich selbst auf die Welt projizieren. Vorgeschichte schön und gut, aber wer mit sieben(!) eigenen Kindern im Auto Selbstmord begehen will, ist für mich kein Opfer, sondern ein Krimineller. Wie können Mütter davon ausgehen, dass ihre minderjährigen Kinder lieber tot wären, als ihr Leben ohne Mütter weiterführen zu wollen? (Gerade in diesen zwei Fällen wäre der Verlust minimal gewesen!) Das ist nichts als egoistisches Verhalten und siebenfacher geplanter Mord.
Genauso absurd ist der Titel, den King aufgrund einer verlorenen Wette nehmen musste. Ob Herman Wouk lebt oder nicht, spielt für die Geschichte überhaupt keine Rolle. Die Vorgabe "Interview w/ Oprah on Channel 6" oder "This horrifying sound of morning cereals" hätte zur gleichen Geschichte führen können. Vielleicht lag diese schon länger in der Schublade und King hat kurzerhand Herman Wouk einmal erwähnt, um seine Wettschuld einzulösen.
Einen Punkt gibts für den alten Dichter, der mich irgendwie an die Figur des Alten Weisen im antiken Drama erinnert.
Tiberius (5 / 5)
Es gibt wahrscheinlich mehrere Blickwinkel mit denen man die Geschichte betrachten kann. Genauso, wie es viele Gründe für die Handlungsweisen der Charaktere gegeben haben kann. Zum einen könnte man die alleinstehenden Mütter für ihren Egoismus verfluchen. Wie können sie es wagen, ihrem und dem Leben ihrer Kinder ein Ende zu setzen. Wie können sie es wagen, völlig Unbeteiligte in Gefahr zu bringen. Unbeteiligte wie die harmlosen und sympatischen Literaten, welche sogar noch helfen wollen.
Nur dreht sich für mich dieser Blickwinkel ein paar Minuten nach dem Lesen. Ja, die beiden Frauen sind noch immer nicht meine absoluten Lieblinge, aber soetwas wie Verstehen und Mitleid setzt ein. King verwendet eine ganz ähnliche Situation in seiner Einleitung von Mr. Mercedes, als er uns mit einer alleinstehenden arbeitslosen Mutter auseinandersetzt, die ganz direkt fragt, was sie denn ohne Babysitter machen soll. Doch Mitleid allein reicht noch nicht, denn King legt noch etwas drauf. Er präsentiert uns mit den Illusionen an die sich die Freundinnen kurz klammern. Diesen Enthusiasmus und die Konzentration auf etwas völlig unrealistisches. Sie mieten einen Van, mehrere Zimmer in einem Hotel, Verpflegung und Sprit für eine Tour von mehreren hundert Meilen um Geld von ihren Eltern und den Großeltern ihrer Kinder abzuluchsen? Ganz banal gefragt, wie viel hätte das sein müssen, damit die Fahrt und die Kosten - welche die eben unter Kontrolle gebrachte Kreditkarte wieder tief in den roten Bereich schickt - das rentieren? 500 Dollar, oder mehr?
Stephen King präsentiert uns hier keine zwei vom Pech verfolgten dicken Frauen im besten Alter. In meinen Augen zeichnet er hier ein Bild von zwei psychisch gestörten Frauen, welche die Realität und ihre Probleme immer weiter erfolgreich verdrängen. Für mich wirkt das Kindergeschreih wie die fortwährende Entschuldigung. Die Kleinkinder mit Namen aus den Klatschblättern beim Arzt wie die perfekte Ausrede um die Zukunft möglichst auszublenden.
Erst als sie beide für ein paar Minuten nicht mehr direkt in den Stress mit ihren Kindern involviert sind, öffnet sich ihr Kopf und zeigt ihnen ihre eigentliche Auswegslosigkeit. Die Fahrt und das Einschlafen der Kinder wirkt so wie eine überharte Therapiestunde aus der beide gleichzeitig nur einen Ausweg sehen.
In meinen Augen ist das harter, nicht so leicht zu verdauender Tobak, den King uns hier präsentiert. Dazu kommt - als komplettes Gegenstück - ein älteres Pärchen. Es wirkt fast schon grotesk. Wer weiß, vielleicht haben Literat und Mutter sogar hintereinander in der Schlange des Vermietungsbüros am Flufhafen von Portland gestanden. Vielleicht hat sich einer über den anderen so seine Gedanken gemacht, als er die Art des Wagens gehört hatte.
Davon aber abgesehen wirkt die Geschichte von Phil und Pauline fast wie ein Schlag ins Gesicht für Alle, die den beiden Frauen nachfühlen können. Wie kann King nur diesen strahlenden Sonnenschein von Schöngeistern präsentieren? Wie kann er es wagen diese zarten Geschöpfe der höheren Unterhaltung neben diesen trampeligen Hausfrauen mit dicken Hüften und schreienden, in Windeln kackenden Kindern zu erwähnen? Er braucht es als Gegengewicht. Phil und Pauline haben keine Sorgen von dieser Welt. Na klar, sie haben Osteoporose, Arthritis und schütteres Haar. Aber sie haben beide keine Kinder aber Erfolg in der Literaturszene von New York gehabt. Sie sind in der Welt herumgekommen und - im Gegensatz zu den Söhnen der beiden Mütter in deren Zukunft - nicht im Krieg oder sonstigen Gefahren gewesen. Sie haben Stil und zeigen in jeder Situation Souveränität. Sie sind von der Tatsache begeistert, dass ein über 90-jähriger Schriftsteller doch noch lebt, aber gleichzeitig so versnobbt, als sie der Meinung sind, seine Werke wären nicht das Gelbe vom Ei gewesen.
King präsentiert uns den wohl besten Unterschied so gut wie zum Schluss. Während Pauline den von Phil angemieteten Cadillac für einen Haufen Plastikschrott hält, würde Brenda die Limousine gerne fahren. Nur leider geht das mit drei Kindern im Schlepptau nicht. Simpel, kurz und doch extrem prägnant.
Es sind diese Extreme, die King zum Schluss zusammenführt, obwohl er sie uns schonmal in der Einleitung haarklein präsentiert hat. Die Auswegslosigkeit ist beendet. Die Sorgen und die zukünftigen Qualen sind beendet. Und auf der anderen Seite erleben Phil und Pauline in ihrem Alter nochmal ein Abenteuer. Dass gerade Paulines starke Contenance bröckelt ist da sowohl verständlich als auch passend.
Insgesamt nimmt mich die Geschichte für eine ganze Weile mit. Es sind Gedankenspiele, die King hier präsentiert. Was man wohl tun würde, ob es gerecht war, welche Zukunft den Kindern wirklich beschienen war. Ob ich Pauline und Phil wirklich nicht mehr leiden kann, obwohl Beide ja gar nichts mit dem Schicksal der 9 Personen zu tun haben? Ob ich je das Bild aus dem Kopf kriege, dass auch Damen, die älter wie 70 sind, rallig werden können und ihre Partner zum Sex verführen wollen.
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